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Bevölkerungs- und Stadtentwicklung

Die Bevölkerungsentwicklung Berns teilt sich in eine Phase des kontinuierlichen Wachstums bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts und eine des Bevölkerungsrückgangs im 15. Jahrhundert.

Die Bevölkerungs- und Stadtentwicklung Berns lässt sich im Spätmittelalter entsprechend der allgemeinen demografischen Entwicklung Mitteleuropas in eine Phase des kontinuierlichen Wachstums, die von der Stadtgründung 1191 bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts dauerte, und eine Phase des Bevölkerungsrückgangs im 15. Jahrhundert unterteilen.[1] Die demografische und bauliche Entwicklung entsprach damit weitgehend jener anderer Städte im spätmittelalterlichen Reich. Nach einem kontinuierlichen Wachstum im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert (Wachstum im 13. und 14. Jahrhundert), das durch eine dichter werdende Bebauung des Stadtgebiets (Ausbau und Innere Verdichtung) sowie durch die beiden Stadterweiterungen nach 1255 (Erste Stadterweiterung nach 1255) und 1343 (Zweite Stadterweiterung nach 1343) gekennzeichnet war, kam es um die Mitte des 14. Jahrhunderts zu einem ersten grösseren Einbruch, als Bern im Jahr 1349 von der damals erstmals in Europa auftretenden Pest (Pest und Seuchenzüge) heimgesucht wurde.[2] Insgesamt scheint das Bevölkerungswachstum jedoch trotz zwei weiteren schweren Seuchenzügen 1355 und 1367 bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts angehalten zu haben. Erst gegen Ende des Jahrhunderts bewirkten die sich wandelnden sozialen und ökonomischen Verhältnisse in Stadt und Land, dass die Einwohnerzahlen stagnierten und nach den Zerstörungen durch mehrere Stadtbrände zwischen 1367 und 1387 zurückzugehen begannen (Rückgang und Stagnation im 15. Jahrhundert). Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts erholte sich die Bevölkerung allmählich und erreichte um die Mitte des Jahrhunderts erneut die Grösse des 14. Jahrhunderts.

Ursachen des Bevölkerungsrückgangs

Die Ursachen dieses Bevölkerungsrückgangs lagen einerseits in den seit 1349 periodisch wiederkehrenden Pest- und Seuchenzügen, die vor allem in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in kurzen Abständen Hunderte von Menschenleben kosteten, andererseits bemühten sich Zünfte und Bürgerschaft darum, die Niederlassung innerhalb der Stadtmauern zu reglementieren und zunehmend auf den kleinen Kreis wohlhabender und handwerklich qualifizierter Personen einzuschränken (Abschliessung von Zünften und Bürgerschaft).[3] Während jedoch die Zünfte seit dem beginnenden 15. Jahrhundert eine immer restriktivere Aufnahmepolitik gegenüber neuen Mitgliedern betrieben, versuchte der Rat, die Ansiedlung zugewanderter Handwerksmeister und Gesellen noch bis zum Ende des Mittelalters möglichst offen zu halten. Ziel der Ratspolitik war es, die während der Pest verwaisten Herdstellen durch Zuwanderung qualifizierter Handwerker und vermögender Kaufleute rasch wieder aufzufüllen. Gleichzeitig lag es im Interesse des Rats, fremde Handwerksmeister in Bern anzusiedeln, um dadurch Qualität und Leistungsvermögen des städtischen Gewerbes langfristig zu sichern (Herkunft der Stadtbewohner). Die Offenheit der Niederlassungsbestimmungen manifestiert sich insbesondere darin, dass sich Bern gegenüber anderen spätmittelalterlichen Städten durch niedrigere Einbürgerungsgebühren auszeichnete.

Ersatz der schmalen Holzhäuser durch grosszügige Steinbauten

Der Erwerb eines ausgedehnten Territoriums machte die Einwohnerschaft Berns viel weniger von der stetigen Zuwanderung abhängig, als das in anderen spätmittelalterlichen Städten Deutschlands und der heutigen Schweiz der Fall war. Vor allem die systematische Ausdehnung der kommunalen Steuer- und Mannschaftshoheit auf die Landschaft ermöglichte es der Bürgerschaft, die Bevölkerungsverluste nach der Pest und dem Stadtbrand von 1405 (Grosser Stadtbrand von 1405) als Chance zu nehmen, um den frei gewordenen Platz innerhalb der Stadtmauern weitgehend neu zu gestalten. Weder die militärische Schlagkraft noch die fiskalischen Einkünfte der Stadt wurden dadurch beeinträchtigt. Vielmehr nutzten Bürgerschaft und Rat die flächendeckenden Zerstörungen der Feuersbrunst, um mit der Anlage neuer Plätze Raum für repräsentative Gebäude und Kirchen zu schaffen. Gleichzeitig gingen die politisch und ökonomisch führenden Ratsfamilien im 15. Jahrhundert dazu über, die Nachbarliegenschaften ihrer Sesshäuser, auf denen ursprünglich mehrere schmale Holz- und Fachwerkhäuser gestanden hatten, in grosszügigen Neubauten zu vereinigen.

Öffnung des Bürgerrechts am Ende des 15. Jahrhunderts

Während der Berner Rat die rückläufigen Einwohnerzahlen zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch in Kauf nahm und durch bauliche Massnahmen teilweise sogar begünstigte, versuchte er, diese Entwicklung in der zweiten Jahrhunderthälfte umzukehren oder wenigstens zu stoppen (Niederlassungspolitik des Rats). Vor allem die nach 1479 in kurzen Abständen auftretenden Epidemien verursachten immer wieder grössere Bevölkerungsverluste, die sich zunehmend nachteilig auf das Wirtschafts- und Sozialleben der Stadt auswirkten. Seuchenzüge, Hunger, Missernten, Kriegszüge sowie die verstärkte Abwanderung in die Städte nach dem Auftreten der ersten Pest 1349 hatten auch die Einwohnerzahlen auf dem Land erheblich zurückgehen lassen (Verhältnisse auf dem Land). Das im 13. und 14. Jahrhundert vorherrschende Bevölkerungswachstum wurde auf diese Weise auf dem Land wie in der Stadt durch einen Bevölkerungsrückgang abgelöst. Zugleich bewirkte der fortschreitende Ausbau des städtischen Territoriums, dass Land- und Stadtbewohner bis zum Ende des 15. Jahrhunderts zunehmend in einem rechtlich einheitlichen Untertanenverband zusammengefasst wurden (Neubürger- und Untertaneneid). Immer weniger Landbewohner sahen sich aus diesem Grund dazu veranlasst, den Schutz der Stadtmauern aufzusuchen und das bernische Bürgerrecht zu erwerben.

Zunehmende Reglementierung im 16. Jahrhundert

Erst nachdem die Bevölkerungsverluste wegen der Pest in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts weitgehend durch Zuwanderung wieder ausgeglichen werden konnten, ging der Berner Rat dazu über, die Niederlassung in Stadt und Landschaft ähnlich der Entwicklung in den übrigen eidgenössischen Orten restriktiven Bedingungen zu unterwerfen und durch unterschiedlich hohe Tarife zu reglementieren (Schliessung des Bürgerrechts). Der Rat unterteilte die Zuwanderung in einzelne Migrationsräume, wobei sich die Einwohnerschaft des städtischen Territoriums zu günstigeren Bedingungen in Bern niederlassen konnte als die von ausserhalb zugewanderten Personen. Besonders starke Einschränkungen erfuhr der Zugang zum Bürger- und Stubenrecht. Mit der Einführung des Zunftzwangs für alle Stadtbewohner im Jahr 1534 beschränkten Schultheiss und Rat die Einbürgerung schliesslich weitgehend auf die Angehörigen der seit mehreren Generationen in Bern ansässigen Bürger- und Zunftfamilien.

Roland Gerber, 08.11.2017



[1]    Einen allgemeinen Überblick über die demografische Entwicklung Mittel- und Westeuropas während des Mittelalters vermitteln J.C. Russell: Die Bevölkerung Europas 500-1500, in: Bevölkerungsgeschichte Europas, hg. von Carlo M. Cipolla und Knut Borchardt, München 1971, S. 9-57; David Herlihy: Outline of Population Developments in the Middle Ages, in: Determinanten der Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter, hg. von Bernd Herrmann und Rolf Sprandel, Weinheim 1987, S. 1-23; sowie grundlegend Wilhelm Abel: Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Hamburg/Berlin 1966 (2. Auflage).

[2]    In den meisten Städten, für die statistische Auswertungen über die Bevölkerungsentwicklung im 14. und 15. Jahrhundert vorliegen, kann nach einer Zeit des langfristigen Wachstums in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Rückgang der Einwohnerzahlen festgestellt werden; Rolf Sprandel: Grundlinien einer mittelalterlichen Bevölkerungsentwicklung. Anmerkungen zu den „Outlines of Population Developments in the Middle Ages” von David Herlihy aus mitteleuropäischer Sicht, in: Determinanten der Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter, hg. von Bernd Herrmann und Rolf Sprandel, Weinheim 1987, S. 25-35. Auch die Einwohnerzahl des wirtschaftlich prosperierenden Nürnbergs verringerte sich zwischen 1430 und 1450 von rund 22 800 auf etwa 20 220 Personen; Gerhard Pfeiffer (Hg.): Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, S. 194.

[3]    Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 38-41 und 400-402.

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