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Grusswort Alec von Graffenried anlässlich der Ausstellungseröffnung «Schleier und Entschleierung»

5. März 2017

Grusswort von Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern, anlässlich der Ausstellungseröffnung «Schleier und Entschleierung» in der Französischen Kirche, 5. März 2017©

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Der Schleier: Mona Lisa trägt einen. Mutter Theresa trug auch einen. Benazir Bhutto, die ehemalige Premierministerin von Pakistan trug ebenfalls einen. Und unsere Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hat auch mal einen getragen, Sie erinnern sich.

Der Schleier, das ist ein Spiel mit der Sichtbarkeit beziehungsweise mit der Unsichtbarkeit. Redewendungen wie der «Schleier des Vergessens»  – wenn etwas in Vergessenheit gerät – «den Schleier lüften» –  wenn ein Geheimnis enthüllt wird - oder «jemandem den Schleier vom Gesicht reissen« – wenn jemand entlarvt wird – zeugen davon.

Es gibt derzeit kein anderes Kleidungsstück, das ähnlich emotionale Reaktionen hervorruft, wie der Schleier. Dieses Kopftuch habe nichts mit unserer Kultur zu tun, meinen viele. Die Ausstellung «Schleier und Entschleierung», die wir heute eröffnen, erzählt nun aber eine leicht andere Geschichte. Der Schleier hat nämlich sehr wohl auch in unserer –  in der westlichen Kultur – seine Geschichte.

Sowohl im antiken Griechenland wie auch im Römischen Reich trugen Frauen einen Schleier über ihrem Haar. Der Schleier war Teil der Kleidung und Symbol des Anstands. Auch im Europa des 14. und 15. Jahrhunderts trugen vornehme Frauen ihr Haar unter einer Haube.  Sie trugen diesen Schal, sobald sie verheiratet waren. Er symbolisierte, dass die Frauen unter dem sogenannten Schutz eines Ehegatten standen. Die Redewendung «unter die Haube» kommen hatte dort ihren Ursprung. Heute redet kaum jemand mehr so  – doch den Spruch kennen wir natürlich immer noch.

Das ist alles weit weg vom hier und heute – oder doch nicht? Beide meine Grossmütter gingen nie ohne Kopftuch oder wenigstens Hut aus dem Haus – so alt bin ich schon! Und bis heute heiraten junge Frauen inklusive weissem Schleier.

Die grosse Mehrheit der Schweizerinnen trägt im Alltag aber natürlich keinen Schleier. Die gesellschaftliche Stellung der Frau hat sich grundsätzlich verändert und das Verständnis darüber, wie die Rollen innerhalb einer Ehe verteilt sind, ebenfalls.

Frauen, die einen Schleier tragen, tun dies heute meist aus religiösen Gründen. Und in welchem Rahmen dies in unserer Gesellschaft möglich oder nicht möglich sein soll, darüber scheiden sich die Geister. Sind wir für oder gegen das Tragen von Schleiern? Braucht es ein Burqa-Verbot? Warum gibt es in einigen Ländern sogar eine Schleierpflicht? Übrigens gibt es ein Land, das seit den 1920er Jahren ein Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden kannte. Wissen Sie welches? Die Türkei von Mustafa Kemal Atatürk.

Ich plädiere für einen unaufgeregten Umgang mit dem Thema Schleier und mit Bekleidungsvorschriften ganz allgemein. Dabei kann es helfen, wenn wir unsere eigene Kulturgeschichte kennen. Es kann ausserdem auch nicht schaden, ein wenig mehr über die Bedeutung des Schleiers in anderen Kulturkreisen zu erfahren. Denn seien wir ehrlich: Wer von uns kennt schon den genauen Unterschied zwischen Hijab, Chador, Niqab und Burqa?

Ich bin der Meinung, dass das Tragen von Kleidungsstücken sich unseren Grundwerten unterzuordnen hat. Die zentralen Werte unserer Gesellschaft sind für mich, dass alle die geltenden Regeln und Gesetze befolgen und dass sich alle zur Bildungsgesellschaft bekennen. Das Tragen eines Schleiers soll dies nicht einschränken. Oder um es anders auszudrücken: Es geht nicht, dass eine junge Frau nicht schwimmen lernt, weil sie aus persönlichen Gründen keinen Badeanzug tragen will. Schwimmen können gehört in der Schweiz zur Grundausbildung. Es geht aber auch nicht, dass eine junge Frau nicht schwimmen lernt, weil ihr verboten wird, einen auf ihre persönlichen Bedürfnisse angepassten Badeanzug, also zum Beispiel einen Burkini,  zu tragen. Bräuche und Moden ändern sich schnell – ein Blick in Grossmutters Fotoalbum wird dies bestätigen.

Es geht schlussendlich nicht darum, was Frauen tragen dürfen und was nicht, sondern darum, dass wir sicherstellen, dass alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Chancen und Möglichkeiten geboten erhalten. Kleidung, die jemanden davon ausschliesst,  sollte es nicht geben. Übertriebene Kleidervorschriften, die das gleiche bewirken, ebenfalls nicht.

Ich danke Ihnen, dass Sie mit Ihrer Ausstellung Aufklärung betreiben über den Schleier und damit einen Beitrag leisten zum besseren Verständnis zwischen Ethnien, Religionen und den Menschen in unserer Stadt.

Grusswort von Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern, an-lässlich der Ausstellungseröffnung «Schleier und Entschleierung» in der Französischen Kirche, 5. März 2017©
Titel
Ausstellungseröffnung «Schleier und Entschleierung», Grusswort Alec von Graffenried, 05.03.2017 (PDF, 42.8 KB)

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