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Rede zum 1. Mai von Michael Aebersold

1. Mai 2018

Rede zum 1. Mai von Gemeinderat Michael Aebersold, Direktor für Finanzen, Personal und Informatik, 1. Mai 2018©

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Bernerinnen und Berner
Liebe Kolleginnen und Kollegen
Liebe Genossinnen und Genossen

«Denn wer hat, dem wird gegeben, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat (Matthäus 25,29).»

Keine Angst; ich halte heute keine Predig. Aber Matthäus 25,29 ist aktueller denn je. Ein Blick auf die ganze Welt, Europa, die Schweiz oder auch nur auf den Kanton Bern zeigt: Die Tendenz geht überall genau in diese Richtung: Wer hat, dem wird gegeben. Die Entwicklung ist nicht überall gleich schnell, aber sie geht in die gleiche Richtung und die Schere zwischen arm und reich öffnet sich immer weiter.  

Die kantonale Politik liefert den Beweis. Die bürgerliche Mehrheit sieht den Kanton im wirtschaftlichen Abseits, weil er im Steuerwettbewerb nicht mit den Kantonen in der Innerschweiz mithalten kann. Die vermeintliche Zauberlösung: Steuern für Unternehmen runter. Und dann? Dann werden Leistungen bei den natürlichen Personen, d.h. bei den Steuerzahlenden, abgebaut.

Im Rahmen der kantonalen Steuergesetzrevision 2019 sollen die Steuersätze für juristische Personen in zwei Schritten gesenkt werden. Steuerausfälle von 300 Millionen Franken sind die Folge. In erster Linie profitieren hochrentable Grossbetriebe und nur marginal das typische Berner KMU, Rückgrat der kantonalen Wirtschaft.

Mit den Steuersenkungen werden zudem Lasten von den Unternehmen hin zu den natürlichen Personen verschoben. Und finanziert werden diese Steuergeschenke schlussendlich über den Abbau von staatlichen Leistungen. Auszubildende, Sozialhilfebeziehende, Familien, Menschen mit Behinderungen, Kranke und Betagte sind die üblichen Sparobjekte, welche die bitteren Pillen schlucken müssen. Besonders hart betroffen sind einmal mehr die sozial Schwächsten.

Ein konkretes Beispiel gefällig? Ende März 2018 hat der Grosse Rat in der Zweitlesung seinen Beschluss vom Dezember 2017 bestätigt: Der Grundbedarf für minderjährige Sozialhilfebezügerinnen und Sozialhilfebezüger sowie für Erwachsene ab 25 Jahren soll acht Prozent unter den SKOS-Richtlinien liegen dürfen. Bei jungen Erwachsenen sind sogar 15 Prozent möglich. Die bürgerliche Ratsmehrheit und der Regierungsrat argumentieren, dass sich Sozialhilfe nicht lohnen dürfe und dass die Selbstverantwortung jener, die nichts haben, gestärkt werden soll. Dies, obschon in der Sozialhilfe in den letzten Jahren bereits wiederkehrende Einsparungen im Umfang von mehr als 30 Millionen Franken pro Jahr realisiert worden sind. Das dürfen wir nicht akzeptieren.

Glaubt jemand ernsthaft, dass ein Grundbedarf nach SKOS von 986 Franken dazu verleitet, finanziell vom Staat abhängig zu werden? Beim kantonal auf 907 Franken gedrückten Grundbedarf (SKOS Vorgabe minus 8 Prozent) bleiben einer erwachsenen Einzelperson noch genau 9,40 Franken für Nahrungsmittel, 2,25 Franken für Bekleidung und Schuhe, 57 Rappen für Körperpflege und 1,10 Franken für die Mobilität. Es ist ein Affront, den Sozialhilfebeziehenden bei diesen Verhältnissen mangelnde Selbstverantwortung vorzuwerfen! «Wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat». Sparen auf Kosten der schwächsten Gesellschaftsmitglieder ist einfach, weil sie sich kaum wehren können.

Profiteure der eingeschlagenen Politik sind Grossunternehmen und Millionäre, die steuerfrei Kapitalgewinne einstreichen, ihr Vermögen mit satten Dividenden aufstocken und das Kapital, wenn nötig in Steuerschlupflöchern auf einer Insel «steueroptimiert» parkieren. Seit den Panama Papers wissen wir, wie das geht. Wer hat, dem wird gegeben. Arbeiterinnen und Arbeiter merken nichts davon, ihre Löhne profitieren kaum von der wachsenden Wirtschaft und schon gar nicht vom wachsenden Kapital.

Deshalb stehen wir auch an diesem 1. Mai auf dem Bundesplatz, deshalb braucht es uns! Gewerkschaften und linke Parteien, welche das Wohl aller vertreten und nicht die Interessen von einigen wenigen. Lasst uns rasch die nötigen Unterschriften sammeln gegen das asoziale Sozialhilfegesetz und das Steuer (-Privilegierungs-) gesetz. Diese Vorlagen müssen wir bekämpfen.

Auch die Gemeinden müssen Gegensteuer geben. Die Gemeinden, Stadt und Land vereint, müssen sich wehren, wenn Bund und Kanton von oben Lasten auf sie abschieben. Gerade die links-grün dominierten Städte und Agglomerationen stehen in der Pflicht, eine soziale Politik zu verfolgen. Genau dies tut RotGrünMitte in der Stadt Bern, auch wenn zurzeit gelb-schwarz regiert.

«Stadt der Beteiligung» ist der Titel der Legislaturrichtlinien des Gemeinderats bis ins Jahr 2020. Politische Teilhabe führt zu breit abgestützten Lösungen. Der Gemeinderat will unter andrem die Vielfalt der Bevölkerung stärken, vielfältiges Wohnen für alle ermöglichen, eine gut unterhaltene Infrastruktur zur Verfügung stellen und für Bildung und Chancengleichheit sorgen. Wir wollen vor allem jene unterstützen, die wenig haben. Das ist nicht nur gerecht, sondern auch eine kluge Investition in eine solidarische, geeinte Gesellschaft, die nicht von einigen Reichen zur Maximierung des Eigennutzes instrumentalisiert und auseinanderdividiert werden kann.

Dies alles ist nicht zum Nulltarif zu haben und schon gar nicht mit Steuersenkungen auf nationaler, kantonaler oder städtischer Ebene. Im Gegenteil: Es gilt die gute Wirtschaftslage intelligent zu nutzen. Mit einem gezielten Ausbau der Stadtverwaltung – im Jahr 2019 sind 56 neue Stellen vorgesehen – kann der Service Public weiter verbessert werden. Auch wollen wir eine Reallohnerhöhung für das städtische Personal. Bei der Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern steht die Stadt Bern zwar gut da, ist aber noch nicht am Ziel. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, die nicht erklärte Lohndifferenz zuungunsten der Frauen von 1,8 Prozent über die gesamte Stadtverwaltung auszumerzen.

Ich bin ein überzeugter Optimist, und es lohnt sich weiter zu kämpfen. Kürzlich hat ein Milliardär und Visionär gesagt, dass menschliche Arbeit nicht durch Roboter ersetzt werden kann. Tesla Chef Elon Musk musste eingestehen, dass die Produktionsprobleme beim wichtigsten Automodell durch die übertriebene Automatisierung in der Produktion stark verschärft worden sind. Auf Twitter gab er zu: «Ja, die übertriebene Automatisierung bei Tesla war ein Fehler. Menschen sind unterbewertet».

Wenn auch andere Wirtschaftsführer ähnliche Schlüsse ziehen, besteht Grund zur Hoffnung. Arbeit zählt wieder etwas. Wer ausgebildet ist und Arbeit hat, kann sich in die Gesellschaft einbringen, ist unabhängig und nicht von Gottes Gnaden oder heute bürgerlicher Politik abhängig. Zusammen können wir etwas bewegen, gemeinsam sind wir stark. Deswegen ist Solidarität so wichtig!

 

Ich wünsche euch einen schönen ersten Mai!

Rede zum 1. Mai von Michael Aebersold
Titel
Rede zum 1. Mai, Michael Aebersold, 01.05.2018 (PDF, 124.9 KB)

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