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«Gleichstellung ist bei uns kein Nice-to-have»

Martina Suter
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2011 wurde das Kompetenzzentrum Jugend und Familie Schloss­matt für seine Gleichstellungsarbeit mit dem Prix Egalité ausge­zeichnet. Kein Grund für die Leiterin Martina Suter, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Im Gegenteil.

Eine Mitarbeiterin der Schlossmatt und ein Jugendlicher vor einer Gender-Wand
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Im Kompetenzzentrum Jugend und Familie Schlossmatt fällt sofort die Sprache auf, denn diese ist konsequent geschlechtergerecht und inklusiv – sowohl schriftlich als auch mündlich. Dies ist eine von vielen Massnahmen des Kompetenzzentrums, um die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. In der Schlossmatt stehen an vier Standorten 40 Plätze zur stationären Betreuung von Kindern und Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen sowie jungen Müttern und Vätern in Wohngruppen zur Verfügung, dazu je sechs Notfallplätze für Kinder und Jugendliche. Rund 40 Familien werden in Belastungssituationen ambulant zu Hause begleitet und in Erziehungsfragen beraten.

Vom Projekt zur Kulturveränderung

Begonnen hat alles 2005 mit einem Projekt zur Sensibilisierung der Mitarbeitenden. Der damalige Leiter war die treibende Kraft und hat Gender Mainstreaming zusammen mit seinem Team in der Institution eingeführt. Diese Strategie basiert auf der Erkenntnis, dass es keine geschlechterneutrale Wirklichkeit gibt, und Männer und Frauen sehr unterschiedlich von Entscheidungen betroffen sind. Gender Mainstreaming berücksichtigt daher bei sämtlichen Entscheidungen und Vorhaben systematisch deren Auswirkungen auf Frauen und Männer, aber auch von Menschen mit weiteren Geschlechtsidentitäten.

Genderkompetenz als Schlüsselkompetenz

Als städtische Institution gelten für die Schlossmatt dieselben Anstellungsbedingungen und Gleichstellungsgrundsätze wie für die gesamte Stadtverwaltung. Darüber hinaus sind Chancengleichheit für alle Geschlechter und der Schutz vor Diskriminierung Teil der Strategie und des Leitbilds des Kompetenzzentrums. Die Genderperspektive fliesst in sämtliche Personalprozesse ein. In der Personalauswahl werden die Bewerbenden zu ihrer Genderkompetenz befragt; im jährlichen Personalgespräch wird beurteilt, ob die Mitarbeitenden Ungleichheiten und Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts wahrnehmen und entsprechend handeln und intervenieren können. Genderkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz und fest in der Organisationskultur verankert.

Alle, die neu in der Schlossmatt arbeiten, besuchen einen obligatorischen Einführungstag zum Thema Gender, an dem sie mit den Grundsätzen, Zielen und deren Anwendung im Alltag vertraut gemacht werden. Zum jeweiligen Jahresthema – 2019 ist das «Gender und Gesundheit» – findet ein für das gesamte Personal obligatorischer Gendertag statt mit Referaten und viel praktischem Austausch. Die Liste liesse sich fast beliebig verlängern.

Genderperspektive in der pädagogischen Arbeit

Die Aufmerksamkeit für Genderaspekte ist auch in den pädagogischen Konzepten verankert. Gender ist ein wichtiger Pfeiler der pädagogischen Arbeit, es gibt einen Leitfaden und Praxisblätter zur konkreten Umsetzung der Vorgaben und Ziele. Darin kommen zum Beispiel die unterschiedlichen Lebenswelten oder unterschiedliches Rollenverhalten von Mädchen und Jungen resp. von Frauen und Männern zur Sprache.

In den Einzel- und Gruppengesprächen mit Klient*innen werden einseitige Geschlechterbilder hinterfragt und gemeinsam nicht stereotype Frauen- und Männerbilder gesucht. «Wir lassen es nicht einfach so stehen, wenn jemand sagt: Das ist «nichts für Mädchen» oder «kein Beruf für Jungs».

Die Arbeitsgruppe Gender steuert die Themen

Treibende Kraft im Kompetenzzentrum Jugend und Familie Schlossmatt ist die Arbeitsgruppe (AG) Gender, in die jedes Team eine Vertreterin oder einen Vertreter schickt. Die AG legt jeweils das Jahresthema fest und gibt dazu zehn «Genderblitze» in Form von kurz und knapp aufbereiteten Aspekten des Themas heraus. Diese werden an das Personal sowie an die Klient*innen verteilt und fokussieren auf Aspekte, die im pädagogischen Alltag relevant sind.

2018 war das Jahresthema «Gender & Sexualität». Die Genderblitze waren unter anderem der sexuellen Aufklärung, «Selbstbefriedigung und Gender» oder «#metoo und Gender» gewidmet. Der Genderblitz zur sexualisierten Jugendsprache gab einen Abriss zur Entwicklung von Jugendsprache über die Zeit und lud mit Fragen zum Nachdenken ein: Erkenne ich einen Unterschied zwischen der Jugendsprache eines Mädchens im Vergleich zu der eines Jungen? Gibt es einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen sexuellen Ausdrucksformen?

Alle können Genderthemen einbringen

Die AG Gender greift regelmässig Themen auf, die den Mitarbeitenden im Arbeitsalltag auffallen. Diese Themen werden betriebsintern diskutiert und führen unter Umständen zu neuen Massnahmen. Institutionsleiterin Martina Suter leitet die AG Gender aus Überzeugung: «Gleichstellung erfordert das Commitment der Leitung, damit für alle im Betrieb klar ist: Gleichstellung ist ein Must-have und kein Nice-to-have.»

Aktuell arbeiten in der Schlossmatt 65 Frauen und 12 Männer in den Bereichen Sozialpädagogik, Sekretariat und Hauswirtschaft. Der Männeranteil liegt bei 16 Prozent. Nur eine von zehn Leitungspersonen ist ein Mann. Die sozialpädagogische Institution bewegt sich mit ihren Berufsfeldern in einem frauentypischen Arbeitsumfeld. Hier sieht Martina Suter durchaus Handlungsbedarf: «Wir haben Mühe, Männer zu rekrutieren, vor allem für die Teams, die mit Kindern arbeiten, obwohl wir uns das anders wünschen».

Prix Egalité 2011

Das Engagement der Schlossmatt-Crew in Sachen Gleichstellung wurde 2011 mit dem Prix Egalité belohnt. Diese Auszeichnung wird vom Kaufmännischen Verband Schweiz an besonders gleichstellungsfreundliche Organisationen verliehen. «Der Preis war eine schöne Bestätigung für das, was wir erreicht haben und leisten», sagt Martina Suter. Höhere Wellen als ein paar Schlagzeilen in den Medien hat der Preis jedoch damals nicht geworfen.

Umso erfreulicher ist es, dass im Aktionsplan Gleichstellung 2019-2022 die Weiterentwicklung des Gender Mainstreaming-Konzepts der Schlossmatt und der Wissenstransfer in andere Institutionen explizit als Massnahme formuliert sind. Martina Suters Wunsch, dass sich andere (sozialpädagogische) Institutionen von der Schlossmatt inspirieren lassen und von ihrer Grundlagenarbeit und den Arbeitsmaterialien profitieren, dürfte somit in der nächsten Zeit in Erfüllung gehen.

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