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«Und dann lag die Kündigung auf dem Tisch…»

Barbara Krattiger
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Die Fachstelle für Gleichstellung bietet kostenlose Erstberatungen für Privatpersonen und Betriebe zu gleichstellungsrelevanten Themen an. Barbara Krattiger, Leiterin der Fachstelle, gibt Einblick in zwei Beratungen.

Eine Frau lässt sich am Telefon beraten
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An die Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann wenden sich Privatpersonen und Vertreter*innen aus Organisationen und Unternehmen, die Rat suchen zu unterschiedlichsten Gleichstellungsfragen. Oft haben Ratsuchende Fragen rund um Schwangerschaft und Mutterschaft am Arbeitsplatz. Das Gleichstellungsgesetz verbietet explizit Diskriminierungen unter Berufung auf die familiäre Situation oder auf eine Schwangerschaft. Im Alltag kommen sie jedoch häufig vor.

Die Kündigung nahegelegt…

Frau O.* wandte sich an die Fachstelle, als sie mit dem dritten Kind schwanger war. Eine Freundin hatte sie auf das Angebot der Fachstelle hingewiesen. «Ich habe meinen Fall zuerst gar nicht als Gleichstellungsproblem gesehen.» Die Naturwissenschaftlerin arbeitete 50 Prozent als Projektmanagerin und wollte den Beschäftigungsgrad nach dem Mutterschaftsurlaub beibehalten. Ihre Arbeitgeberin, eine Non-Profit-Organisation, beschied ihr jedoch vor der Geburt, sie könne aufgrund von Umstrukturierungen in Zukunft nicht mehr Teilzeit arbeiten. «Man hat mir nahegelegt, von mir aus zu kündigen, dann würde ich ein besseres Zeugnis erhalten», erinnert sich Frau O., «andernfalls sähen sie sich gezwungen, mir zu kündigen. Doch darauf liess ich mich nicht ein.»

…per sofort freigestellt

In der Beratung erhielt Frau O. Informationen zur Rechtslage und zu ihren Handlungsmöglichkeiten. Sollte sich keine Lösung mit der Arbeitgeberin finden, blieb ihr jedoch nur übrig abzuwarten, ob ihre Arbeitgeberin die angedrohte Kündigung nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs wahrmachen würde. «An meinem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub hatte ich die Kündigung auf dem Tisch und wurde per sofort freigestellt». Kein Einzelfall – ein Forschungsbericht von 2018 geht von 2'500 Frauen aus in der Schweiz, denen jährlich nach dem Mutterschaftsurlaub gekündigt wird. Nur ein kleiner Teil der betroffenen Frauen setzt sich zur Wehr und macht eine diskriminierende Kündigung geltend (vgl. Datenbank www.gleichstellungsgesetz.ch).

Erfolgreich geklagt, aber…

Frau O. entschied sich für den Gang zur Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland. Diese machte sie darauf aufmerksam, dass sie ihrer Arbeitgeberin vor Ablauf der Kündigungsfrist schriftlich mitteilen muss, dass sie die Kündigung als diskriminierend anfechten werde. Das tat sie. Es folgte eine aufreibende Zeit des Wartens mit RAV-Terminen, Bewerbungsverfahren, reduziertem Lohn, Zweifeln und Unsicherheit bis zur Verhandlung vor der Schlichtungsbehörde. Dort hat sie Recht bekommen und eine Entschädigung von drei Monatslöhnen erhalten. «Ich habe das Verfahren als unterstützend und fair erlebt. Das war eine gute Erfahrung und auch eine Genugtuung für mich», sagt sie. Ein Wermutstropfen bleibt dennoch: «Ich habe anderthalb Jahre gebraucht, um eine neue Stelle zu finden. Die Stellensuche als Mutter mit drei kleinen Kindern war alles andere als einfach und zuweilen auch demütigend.» Rückblickend hätte sie sich auch für ihre Arbeitgeberin Beratung zur rechtlichen Situation gewünscht.

Auch Unternehmen lassen sich beraten

Die Fachstelle wird auch von betrieblicher Seite um Rat gefragt. Herr S.*, Geschäftsführer eines mittelgrossen Unternehmens, wandte sich an die Fachstelle, als er kurz nach seinem Stellenantritt erfuhr, dass sich mehrere Mitarbeiterinnen von einem Geschäftsleitungsmitglied sexuell belästigt fühlten. «Ich war neu, und die Situation war vertraulich und heikel. Ich sah keine Möglichkeit, in oder ausserhalb der Organisation mit anderen Personen darüber zu sprechen», erinnert sich Herr S. «Die Möglichkeit, die Situation mit jemandem besprechen zu können, und Klarheit darüber zu erhalten, was die möglichen, aber auch notwendigen nächsten Schritte sind, habe ich als sehr hilfreich empfunden.» In der Erstberatung erhielt Herr S. Informationen zu den Rechten und Pflichten aller Beteiligten sowie die Empfehlung, die Vorfälle allenfalls von einer spezialisierten externen Fachperson untersuchen zu lassen. Davon wurde jedoch abgesehen. In Gesprächen mit dem Angeschuldigten sowie mit jeder einzelnen der belästigten Mitarbeiterinnen wurden indessen die Vorfälle geklärt, das weitere Vorgehen bestimmt und Vorkehrungen zum Schutz der letzteren getroffen.

Arbeitgebende stehen in der Pflicht

In der Beratung erkannte Herr S. weiteren Handlungsbedarf, denn Arbeitgebende sind aufgrund des Arbeitsgesetzes dazu verpflichtet, Massnahmen zum Schutz der persönlichen Integrität ihrer Mitarbeitenden zu ergreifen. In der Folge wurde ein Reglement zum Umgang mit sexueller Belästigung erarbeitet und mit allen Mitarbeitenden besprochen. Es wurden interne Ansprechpersonen bezeichnet und geschult, an die sich Mitarbeitende im Fall einer Belästigung wenden können. Rückblickend sagt Herr S.: «Wir haben eine hohe Sensibilisierung unserer Mitarbeitenden, der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats erreicht – und natürlich eine grundsätzliche Verhaltensänderung der belästigenden Person.» Publik gewordene Vorfälle in der gleichen Branche sowie die #MeToo-Debatte wären seither Warnung genug gewesen, dass das auch so bleibe, ist Herr S. überzeugt.

* Namen und Fälle anonymisiert

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