Jeannette Hunziker
Jeannette Hunziker lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Künstlerin in Bern. Nach dem Studium am Literaturinstitut Biel folgten lange Reisen in den Osten. «IMAGO/MU» ist ihr erstes Buch. An ihren kostbaren Sätzen können sich die Leser*innen kaum satt lesen. Das Stipendium soll ihr die Gelegenheit geben, um weiter nach einer neuen Art zu denken und darüber zu schreiben, zu forschen.
Laudatio der städtischen Literaturkommission
«Imago» heisst der Gedichtzyklus in Arbeit der Dichterin Jeannette Hunziker, und so lautet auch der Titel eines Romans von Carl Spitteler, dem ersten und einzigen Nobelpreisträger für Literatur aus der Schweiz: ein Arbeitstitel, der viel verspricht.
«Imago» hat unterschiedliche Bedeutungen und ist sehr bewusst gewählt, eine davon bezeichnet das erwachsene geschlechtsreife Insekt nach der Verpuppung oder nach der letzten Häutung. Alle Gedichte haben eine Vorgeschichte.
Hier eine Kostprobe:
«Und dann
legt sich einfach so,
mit der unerträglichen Leichtigkeit
eines Augenblicks der Schmerz
in unser Haus wie ein Tuch
und macht sich dort eine Ecke.»
Im Versuch die Gedichte von Jeannette Hunziker für Sie zu greifen:
Insekten, und nicht irgendwelche, sondern Motten und Falter, sowie Spinnen, dann auch andere Tiere und Menschen, vordergründig wie Du und ich, oder ein Friedhofsgärtner, tauchen wie Figuren auf Gemälden in ihren alltäglichen Situationen, zu Hause und in der Öffentlichkeit, auf. Gefühle sind personalisiert und mit Fähigkeiten ausgestattet, und auch sie werden zu Figuren in den Bildern unserer Imagination, während der Lektüre. Nach dem Entstehen, oder im Fall der Dichterin nach dem Erdenken, werden sie alle in eine abgewandelte Situation hinein gepinselt, um dann dazustehen, wie in Stein gemeisselt und zugleich in Momentaufnahmen von beeindruckender Fragilität und Einzigartigkeit.
Faszinierend lassen wir beim Lesen die Bilder, sprich die Ölgemälde aufkommen und hängen sie in Gedanken auf. Bei jedem erneuten Lesen entstehen neue Gemälde und dementsprechend auch ein jeweils anderes Setting, geleitet durch den Audio-Guide mit der Stimme der Dichterin, die intensiv und einnehmend aus dem Off mit uns spricht. Was für eine hochkonzentrierte dichterische Arbeit hat hier stattgefunden, damit sich eine solche Wirkung bei der Lektüre entfalten kann? Dafür braucht es Zeit, Musse und Können, und ein Zulassen der Herausbildung von Zusammenhängen in Sätzen, die beim ersten Kontakt – stimmungsvoll – eine Irritation auslösen, die sich unmittelbar darauf auflöst und aufgeht in einen Bilderschwall von atemberaubender Schönheit und Eigenheit.
Darum, liebe Jeannette Hunziker, tasten Sie weiter «mit Fingern aus Samt nach einer neuen Art zu denken», um darüber «weiterzuschreiben».
Herzliche Gratulation!