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Bürgerpflichten

Leistete ein Bürger über Jahr und Tag keine Bürgerpflichten verlor er seine privilegierte Stellung innerhalb der Stadtgemeinde.

Neben dem Besitz eines Stadthauses (Udelhausbesitz) und der Leistung des Bürgereides (Bürgereid) gehörte die Ausübung verschiedener Bürgerpflichten wie Wehr- und Wachdienste (Wach- und Wehrpflicht), Steuerleistung (Steuerpflicht) und Fuhrdienste zu den zentralen Inhalten des Bürgerrechts.[1] In Artikel 24 der Goldenen Handfeste (Goldene Handfeste) werden tributum et colectam respektive in der deutschen Übersetzung aus dem 14. Jahrhundert wacht und telle ausdrücklich als bürgerliche Pflichten genannt.[2] Jeder Bürger hatte unabhängig seines sozialen Status regelmässig Steuern und sonstige Abgaben zu bezahlen, bei Bedarf Wach- und Fuhrdienste zu leisten sowie mit den aus dem eigenen Vermögen finanzierten Harnisch und Waffen die Rechte und Freiheiten der Stadt gegen äussere Feinde zu verteidigen. Nach der Handfeste stand der Besitz des Bürgerrechts damit in direkter Abhängigkeit zur Ausübung der bei der Bürgeraufnahme geschworenen Bürgerpflichten. Entzog sich beispielsweise ein Bürger mehr als ein Jahr der Wach- oder Steuerpflicht, sprach ihm der Rat das Bürgerrecht ab und dieser verlor seine privilegierte Stellung innerhalb der Stadtgemeinde.

«Wer das Stadtrecht hat, der soll auch das Stadtrecht tun»

Während ursprünglich nur persönlich freie Haushaltsvorstände dazu verpflichtet waren, Steuern zu bezahlen und Wehrdienst zu leisten, kam es bis zum Ende des Mittelalters zu einer Ausdehnung der Bürgerpflichten auf die gesamte in Bern ansässige erwachsene Bevölkerung. Nach dem Willen des Rats sollten nicht nur Bürger, sondern auch alle anderen in der Stadt ansässigen erwachsenen Männer wie Einwohner und Gäste, die den Schutz des städtischen Friedens (Stadtrecht) genossen, zur Leistung von Diensten und Abgaben herangezogen werden.[3] Bereits im 14. Jahrhundert unterwarf der Rat neben den hausbesitzenden Bürgern auch alle erwachsenen Haushaltvorstände seiner Gebotsgewalt und des von ihm gesetzten Willkürrechts: Swer och der stat recht haben wil, der sol och der stat recht tun, heisst es dazu kurz und bündig in der deutschen Übersetzung der Goldnen Handfeste.[4] Jeder, ob Bürger, Einwohner oder Gast, hatte sich während seines Aufenthalts in Bern der kommunalen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und den üblichen bürgerlichen Pflichten nachzukommen. Gäste wie Einwohner genossen im Gegenzug den Schutz und Frieden der Stadtgemeinde und konnten vor dem kommunalen Gericht gegen ein Unrecht klagen.[5] Eine wichtige Einschränkung gegenüber den Bürgern bestand jedoch darin, dass Nichtbürger bei einer Gerichtsverhandlung gegen einen Bürger nicht als Zeuge angehört werden durften. Die neu in die Stadt gezogenen Personen hatten solange kein Anrecht auf den Schutz und Schirm des Stadtrechts, als sie den geforderten Verpflichtungen wie Wacht und Steuerleistung nicht nachkamen. Wer sich jedoch nach einer Übergangsfrist von einem Jahr und einem Tag nichts zu Schulden kommen liess und den Bürgerpflichten ohne Widerspruch nachkam, nahm der Rat in den Schutz der kommunalen Gerichtsbarkeit auf.[6]

Vor allem die neu nach Bern gezogenen sowie die sozial schwächeren Einwohner zeigten jedoch wenig Interesse, den Bürgerpflichten nachzukommen. Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) waren deshalb gezwungen, wiederholt gegen Stadtbewohner vorzugehen, die Schutz und Vorteile der städtischen Schwurgenossenschaft (Bürgerliche Schwurgenossenschaft) genossen, jedoch keinerlei Abgaben und Dienste leisteten. In einer wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfassten Satzung legte der Rat fest, dass jeder neu in die Stadt gezogene Einwohner auch nach Ablauf der Niederlassungsfrist von Jahr und Tag nur dann in den Genuss von Privilegien kommen durfte, falls dieser Steuern bezahlte und Wachdienst leistete.[7] 1409 wurden die aus der Stadt verbannten Bürger angewiesen, ihren geschworenen Bürgerpflichten auch ausserhalb Berns nachzukommen, wenn sie ihr Bürgerrecht nicht verlieren wollten.[8] 1437 verlangte der Rat schliesslich von allen Ehepaaren, die noch im väterlichen Haushalt lebten, sich innerhalb eines Jahres um die Aufnahme ins Bürgerrecht (Aufnahme ins Bürgerrecht) zu bewerben und wie ihre Eltern den Bürgerpflichten nachzukommen. Gleichzeitig wurde die Bestimmung, dass uneheliche Kinder eines Bürgers nach dessen Tod keinerlei Anspruch auf das väterliche Bürgerrecht beanspruchen durften, auf alle unehelich geborenen Kinder ausgedehnt.[9]

Roland Gerber, 12.07.2018



[1]    Vgl. dazu auch Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 97f.

[2]    SSRQ Bern I/1, Artikel 24, S. 11.

[3]    Vgl. dazu Adalbert Erler: Bürgerrecht und Steuerpflicht im mittelalterlichen Städtewesen mit besonderer Untersuchung des Steuereides, Frankfurt am Main 1963 (2. Auflage), S. 18-27.

[4]    Während die Leistung der Bürgerpflichten im lateinischen Original der Handfeste aus dem 13. Jahrhundert noch auf den privilegierten Personenkreis der Bürger eingeschränkt war (quicumque ius burgensie in civitate cupit obtinere), wurde diese in der deutschen Übersetzung des 14. Jahrhunderts auf sämtliche Stadtbewohner ausgedehnt, die innerhalb des Stadtrechtsbezirks ansässig waren; SSRQ Bern I/1, Artikel 14, S. 8.

[5]    SSRQ Bern I/1, Artikel 25, S. 11.

[6]    Welche Vorteile sich daraus ergeben konnten, zeigt ein Gerichtsurteil aus dem Jahre 1422, als der in Bern ansässige Peter Wirz einen fremden Pilger namens Hermann von Seeland in einem Streit erstach. Nachdem der Angeklagte mit zwei vereidigten Zeugen beschwören konnte, dass ihn Hermann von Seeland mit worten und mit werken dermassen angegriffen habe, dass er um sein Leben fürchten musste, wurde dieser vom Totschlag freigesprochen. Der beschuldigte Peter Wirz wies darauf hin, wa ein ussrer, der der stat recht nit enhat, einen indren an rentzet [reizt] mit sinen schalkhaftigen worten, was denn der inder dem ussren tete, ob er in och ze tod slüge, sol er nieman darumb ze antwurten haben; Oberes Spruchbuch A, Staatsarchiv Bern, A I 305, S. 325 f. (1. September 1422); gedruckt in: Hans Morgenthaler: Bilder aus der älteren Geschichte der Stadt Bern, Bern 1935 (2. Auflage), S. 163f.

[7]    SSRQ Bern I/2, Nr. 110, S. 51: [...] aber was frömder lüten usswendig har in koment, die sullent keines weges in unser stat recht noch schirm sin, oder si erfüllent ierlich unser stat recht mit wacht oder telle.

[8]    SSRQ Bern I/2, Nr. 110, S. 51.

[9]    SSRQ Bern I/1, Artikel 15, S. 36f. (5. Juni 1437).

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