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Schultheiss und Rat

Seit 1224 wird der Schultheiss und ein zwölfköpfiger Rat in Urkunden genannt.

Die Rechtsgemeinschaft der Berner Bürger erscheint bereits bei ihrer ersten urkundlichen Erwähnung 1224 als selbständig handelnde Körperschaft. Sie wurde durch einen aus haushäblichen Bürgern (Haushäbliche Ratsbürger) zusammengesetzten Rat unter dem Vorsitz des Schultheissen gegen aussen vertreten. Sichtbares Zeichen der Rechtsfähigkeit der Bürgergemeinde war die Verwendung eines eigenen Siegels (sigillum burigensum de Berne).[1] Schultheiss und Rat bildeten zusammen das städtische Gericht (Stadtrecht) und repräsentierten die Stadtgemeinde bei Rechtsgeschäften und Verhandlungen mit auswärtigen Herrschaftsträgern. In allen aus dem 13. Jahrhundert überlieferten Urkunden wird bei wichtigen Beschlüssen wie Kriegserklärungen und Bündnissen neben Schultheiss und Rat immer auch die Gesamtheit der Berner Bürger (universi burgenses de Berne) als eigenständige Rechtskörperschaft genannt. Die Bürger hatten sich – wie der älteste überlieferte Bündnisvertrag zwischen Bern und Freiburg im Uechtland von 1243 zeigt – jeweils in Form periodischer Eidesleistung zur Einhaltung der Vertragsbestimmungen zu verpflichten.[2]

Schultheiss

Präsidiert wurden Bürgerschaft und Rat durch den 1223 erstmals genannten Schultheissen.[3] Dieser verwaltete das Stadtsiegel und war als oberster Richter sowohl gegenüber den Bürgern als auch gegenüber dem Stadtherren zur Wahrung des Stadtfriedens und zur Umsetzung der vom kommunalen Gericht erlassenen Rechtsnormen verpflichtet.[4] Der Schultheiss wurde bis zur Integration seines Amts in die Ratsgremien in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wahrscheinlich durch den Stadtherren oder bei dessen Abwesenheit durch den für Burgund zuständigen königlichen Landvogt ernannt beziehungsweise bestätigt. Zu welchen Zeiten in der von den Zähringer Herzögen bei Nydegg (Nydeggstalden) erbauten Stadtburg bis zu deren Zerstörung durch die Bürger um 1268 ein vom König eingesetzter Stadtvogt residierte und die Blutgerichtsbarkeit[5] in Bern ausübte, bleibt hingegen eine offene Frage. Eine Urkunde von 1223 nennt zwar mit Theto de Ravensburc ausdrücklich einen von Kaiser Friedrich II. in civitate Berno iudex domini imperatoris delegatus.[6] Dieser dürfte jedoch die Stadtvogtei nur für eine gewisse Zeit ausgeübt haben. Auch die in Urkunden zwischen 1240 und 1256 genannten Ministerialen der Grafen von Kiburg-Dillingen respektive der Grafen von Savoyen Wilhelmus de Bollo, Berctoldus dictus Bognere und Ulrich von Wippingen scheinen jeweils nur für kurze Zeit gewisse Vogteirechte in Bern besessen zu haben.[7] Das Amt des Schultheissen wurde wahrscheinlich bereits seit der Stadtgründung 1191 von einem in der Umgebung Berns ansässigen Adligen ausgeübt.[8]

Rat der Zwölf

Dem Schultheissen untergeordnet war der ebenfalls 1224 erstmals genannte Rat der Zwölf. Dieser vertrat die Bürgerschaft im städtischen Gericht. Daneben scheint er auch für die Verwaltung der Stadtgemeinde verantwortlich gewesen zu sein. Der Rat der Zwölf setzte sich sowohl aus Angehörigen von Adelsgeschlechtern (Adels- und Notabelngeschlechter) als auch aus wohlhabenden Kaufleuten und vermögenden Grundbesitzern zusammen.[9] Dies lässt darauf schliessen, dass sich der Rat von Anfang an selbst ergänzte (Kooptation). Obwohl Schultheiss und Stadtvogt bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts noch ausserhalb des Rats der Zwölf standen, dürfte diesen bei der Ernennung der Ratsherren ein Präsentationsrecht zugekommen sein. Schon früh scheint die Neubesetzung der Ratsgremien und der wichtigsten kommunalen Ämter zudem an den bürgerlichen Schwörtagen (Bürgerliche Schwurgenossenschaft) vor versammelter Gesamtbürgerschaft stattgefunden zu haben.[10] Als älteste Versammlungsorte der Bürgergemeinde nennen Urkunden im 13. Jahrhundert die St. Vinzenzkirche (Pfarrkirche von St. Vinzenz) und der benachbarte Friedhof (Münsterplattform).[11] Gegen Ende des Jahrhunderts wurde die Pfarrkirche schliesslich durch die neu erbauten Klosterkirchen der Dominikaner (Klosterkirchen der Dominikaner und Dominikanerinnen) und Franziskaner  (Franziskanerkirche) als wichtigste Versammlungsplätze von Bürgern und Rat abgelöst.[12]

Rat der Fünfzig

Bei Steuererhebungen oder bei grösseren Finanzgeschäften gingen Schultheiss und Rat schon früh dazu über, ausgewählte Vertreter der Bürger zur Beschlussfassung herbeizuziehen. Auf diese Weise sollte die Konsensfindung erleichtert und mögliche Opposition zum Voraus verhindert werden.[13] Erstmals nachweisbar ist eine solch erweiterte Vertretung der Bürger 1249, als neben dem Rat der Zwölf (consilium duodecim) zusätzlich noch ein Rat der Fünfzig (consilium quinquaginta) genannt wird.[14] Obwohl dieser Rat der Fünfzig nur ein einziges Mal urkundlich in Erscheinung trat und in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wieder verschwand, bedeutete die Entstehung eines zweiteiligen Rats der erste nachweisbare Ausbau der politischen Rechte der Berner Bürger nach dem Tod Herzog Bertolds V. von Zähringen 1218.[15] In dem 1249 erwähnten Rat der Fünfzig fand erstmals eine grössere Zahl von Männern Zugang zu den kommunalen Ratsgremien, in denen – wenn auch nur für eine beschränkte Zeit – neben Adligen auch wohlhabende Kaufleute und Handwerksmeister vertreten gewesen sein dürften.

Roland Gerber, 17.07.2018



[1]    FRB/2, Nr. 40, S. 44f. (7. April 1224).

[2]    SSRQ Bern III, Nr. 5, Artikel 8 (20. November 1243); sowie mit wissenschaftlichem Kommentar Hurbert Forster und Jean-Daniel Dessonnaz (Hg.): Die Freiburger Handfeste von 1249. Edition und Beiträge zum gleichnamigen Kolloquium 1999 (Scrinium Friburgense 16), Freiburg 2003.

[3]    Der erste namentlich bekannte Schultheiss der Stadt Bern heisst Rudolf von Krauchthal; FRB/2, Nr. 36, S. 42 (5. Mai 1223). Eine Liste aller Schultheissen von 1223 bis 1798 findet sich in Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 1-139, S. 135-139 (Beilage I); sowie Alfred Zesiger: Die bernischen Schultheissen, in: Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde 4 (1908), S. 235-258.

[4]    Zum Amt des Schultheissen vgl. Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 112-115.

[5]    Die Blutgerichtsbarkeit umfasste die Befugnis, schwere Verbrechen wie Mord, Totschlag, Brandstiftung, Unzucht und alle anderen Vergehen, so den leib berühren und womit man den leib verschuldet, zu richten; Roland Gerber: Stadt und Herrschaft Aarberg unter bernischer Herrschaft 1358 bis 1528, in: Geschichte der Stadt Aarberg, hg. von Markus Rubli, Aarberg 1999, S. 130.

[6]    FRB/2, Nr. 36, S. 42 (5. Mai 1223).

[7]    Alfred Zesiger: Das bernische Zunftwesen, Bern 1911, S. 18-25; sowie Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 5.

[8]    In Nürnberg ist die Blutgerichtsbarkeit des vom König eingesetzten Schultheissen seit 1173 nachgewiesen; Gerhard Pfeiffer (Hg.): Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, S. 21.

[9]    Die fünf zwischen 1226 und 1284 überlieferten Ratslisten verzeichnen zwischen sechs und acht Bürger sowie vier bis sechs adlige Ratsherren; FRB/2, Nr. 65, S. 75 f. (3. September 1226) und Nr. 419, S. 438f. (6. Januar 1257); sowie FRB/3, Nr. 168, S. 164f. (4. Februar 1276), Nr. 378, S. 356 f. (1. Januar 1284) und Nr. 381, S. 359 f. (23. Januar 1284). Vgl. dazu auch Alfred Zesiger: Das bernische Zunftwesen, Bern 1911, S. 18-25; sowie Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 27-29.

[10] SSRQ Bern I/1, Artikel 7, S. 6 und Einleitung S. XLIII-XLV.

[11] FRB/2, Nr. 40, S. 44f. (7. April 1224). Zur Bedeutung von Friedhöfen als Versammlungsplätze der Bürger vgl. auch Armand Baeriswyl: Die Friedhöfe, in: BGZ, S. 74-82.

[12] Vgl. dazu Norbert Hecker: Bettelorden und Bürgertum. Konflikt und Kooperation in deutschen Städten des Spätmittelalters, Frankfurt am Main 1981; sowie Bernhard E. Stüdeli: Minoritenniederlassungen und mittelalterliche Stadt. Beiträge zur Bedeutung von Minoriten- und anderen Medikantenanlagen im öffentlichen Leben der mittelalterlichen Stadtgemeinde, insbesondere der deutschen Schweiz (Franziskanische Forschungen 21), Werl 1969.

[13] Vgl. dazu Hans-Jörg Gilomen: Anleihen und Steuern in der Finanzwirtschaft spätmittelalterlicher Städte. Option bei drohendem Dissens, in: Staatsfinanzierung und Sozialkonflikte (14.-20. Jahrhundert), hg. von Sébastien Guex, Martin Körner u.a. (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 12), Zürich 1994, S. 137-158.

[14] FRB/2, Nr. 283, S. 311f. (2. August 1249).

[15] Richard Feller geht davon aus, dass der 1249 genannte Rat der Fünfzig in Zusammenhang mit der von Kaiser Friedrich II. eingeforderten Reichssteuern geschaffen und mit dem Wegfall der Reichssteuer nach dem Zusammenbruch der staufischen Königsherrschaft wieder aufgegeben worden sei; Richard Feller: Geschichte Berns, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1516, Bern 1946, S. 38.

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