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Ulrich (III) von Gisenstein (gest. um 1346)

Unter der Leitung des Stadtschreibers Ulrich von Gisenstein etablierte sich die bernische Kanzlei als eigenständige Behörde.

Ulrich (III) von Gisenstein übernahm 1312 in Nachfolge seines mutmasslichen Vetters Peter (III) das Amt des Stadtschreibers (Stadtschreiber und Kanzlei). Er entstammte einem alteingesessenen Notabelngeschlecht (Adels- und Notabelngeschlechter). Ulrich von Gisenstein ist der erste Berner Schreiber, der 1323 explizit als stattschriber bezeichnet wird.[1] Er war mit insgesamt 35 Jahren zudem aussergewöhnlich lange als Stadtschreiber tätig. Als Mitglied des Kleinen Rats gehörte er zu den Trägern der bernischen Politik in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.[2] Zwischen seiner ersten Erwähnung als notarius 1312 und seinem Tod um 1346 wird Ulrich von Gisenstein über 150 Mal als Zeuge in einem Rechtsgeschäft aufgeführt. Zugleich beglaubigte er insgesamt 68 grösstenteils von ihm verfasste Urkunden. Er betätigte sich nicht nur als Vogt reicher Bürgerinnen, sondern vertrat als angesehener Ratsgesandter auch die Interessen der Stadt gegenüber benachbarter Hochadelsgeschlechter.

1327 erschien Ulrich von Gisenstein neben Laurenz Münzer und Peter (II) von Krauchthal in einer Reihe adliger Zeugen, als die Zisterzienster von Frienisberg Graf Eberhard von Kiburg 700 Pfund für die Übertragung des Kirchensatzes in Rapperswil bezahlten.[3] Erneut in hervorragender Gesellschaft befand sich Ulrich von Gisenstein 1330. Damals schlichtete er unter dem Vorsitz des Ritters Philipp von Kien einen Streit zwischen dem Prior des Klosters Rüeggisberg und dessen Kastvogt Niklaus von Aeschi.[4] Ein Jahr später begleitete er die sozial hoch gestellte Ratsgesandtschaft, die sich vor Graf Amadeus von Savoyen um einen friedlichen Ausgleich mit dem Freiherren Peter von Greyerz in den Auseinandersetzungen um die oberländische Herrschaft Mülenen bemühte.[5] Das hohe Ansehen, das Ulrich (III) als Ratsherr genoss, zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass Graf Rudolf IV. von Neuenburg-Nidau dem bescheidenem manne, Uolriche von Gisenstein, schriber ze Berne, durt die liebi, so wir ze ime hein, und durt [durch] den dienst, so er uns digche [dick] getan hat 1327 ein Gut in Waltwil schenkte. Ob es sich bei diesem Freundschaftsdienst um das Verfassen eines Schriftstückes oder um sonst eine Gefälligkeit gehandelt hat, muss hier jedoch offen bleiben.[6]

Die Verschriftlichung der Gerichtsurteile nimmt viel Zeit in Anspruch

Unter Ulrich (III) von Gisenstein entwickelte sich die bernische Kanzlei zu einer eigenständigen Behörde mit eigenem Personalbestand, Aufgabenbereich und geregelten Einkünften.[7] Ausdruck dieser fortschreitenden Institutionalisierung und ersten Professionalisierung waren die Festlegung einer Schreiberordnung im städtischen Satzungenbuch sowie die Schaffung eines zusätzlichen Schreiberamts neben jenem des Stadtschreibers. Offenbar führte der wachsende Aufwand für die Verschriftlichung der vor Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) verhandelten Gerichtsfälle zu Beginn des 14. Jahrhunderts zu einer ersten schriftlichen Regelung der Aufgaben der in der Kanzlei beschäftigten Schreiber.[8] Laut zwei undatierten Satzungen hatten der Stadtschreiber und sein Schüler beim Amtsantritt jeweils zu schwören, während den Ratssitzungen ein separates Buch zu führen und urkunde, gezüge [Zeugen] und alz denne notdürftig ist getreulich zu notieren. Die vom Gericht verfügten Urteile wurden anschliessend durch den Stadtschreiber ins Reine geschrieben und durch den Schultheissen besiegelt.[9] Der Lohn für jede niedergeschriebene Urkunde betrug einen Schilling an Geld und ein Mäss Wein.[10] Ulrich von Gisenstein wie auch der Schultheiss schienen die im Satzungenbuch festgelegte Frist von maximal zwei Wochen für die Verschriftlichung eines Gerichtsurteils wegen der wachsenden Zahl auf dem Land lebender Bürger (Ausbürger), welche die freiwillige Gerichtsbarkeit der Stadt in Anspruch nahmen, jedoch häufig nur mit Mühe eingehalten zu haben.[11]

Der Rat stellt einen zusätzlichen Gerichtsschreiber an

Der Rat beschloss um 1327, dem Stadtschreiber einen zweiten Schreiber zur Seite zu stellen, der sich ausschliesslich um die fristgerechte Niederschrift der ausgesprochenen Urteile zu kümmern hatte.[12] Mit diesem Entscheid wurde einerseits Ulrich von Gisenstein, der als Ratsgesandter immer wieder für längere Zeit ausserhalb der Stadt weilte, von der zeitraubenden Schreibtätigkeit vor dem Stadtgericht entlastet. Andererseits nennen die Quellen 1327 mit Johannes Marschalk[13] und 1343/44 mit Rudolf von Lindach[14] erstmals zwei spezielle gerichtschriber ze Berne. Diese unterstützten den Schultheissen bei der Abhaltung der städtischen Gerichtstage, insbesondere der vierteljährlich für die Ausburgerschaft durchgeführten Fronfastengerichte.[15] Rudolf von Lindach entstammte wie Ulrich von Gisenstein einem alteingesessenen bernischen Notabelngeschlecht, das es durch die Ausübung des lukrativen Münzmeisteramts und der daraus resultierenden Kreditgeschäfte am Ende des 13. Jahrhunderts zu grossem Wohlstand gebracht hatte. Seine Onkel Johannes und Niklaus von Lindach gehörten zu den treibenden Kräften der Verfassungsreform von 1294 und verfügten in dem damals neu konstituierten Kleinen Rat entsprechend über grossen politischen Einfluss. Als Gelegenheitsschreiber von Urkunden nennen die Quellen während der Amtszeit Ulrich von Gisensteins ausserdem Meister Heinrich der Lateinschullehrer (1333), Johannes von Kreingen (1294-1329) sowie den scriptor Niklaus von Rottweil (1318-1359).

Roland Gerber, 17.07.2018



[1]    FRB/5, Nr. 327, S. 365f. (18. Nov. 1323).

[2]    Roland Gerber: Münzer contra Bubenberg. Verwandtschaften und Faktionen im Berner Rat zu Beginn des 14. Jahrhunderts. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 68 (2006), S. 179-234, hier 204.

[3]    FRB/5, Nr. 513, S. 550f. (11. März 1327).

[4]    FRB/5, Nr. 692, S. 727-729 (1. Februar.1330).

[5]    FRB/5, Nr. 761, S. 818 (9. August 1331) und Nr. 786, S. 842-844 (13. Dezember 1331).

[6]    FRB/5, Nr. 542, S. 582 (28. Juli 1327).

[7]    Zur Definition des mittelalterlichen Kanzleibegriffs vgl. den entsprechenden Artikel von Ivan Hlaváček im Lexikon des Mittelters, Bd. 5, Spalten 910-912; sowie Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft. Stuttgart 1988. S. 143f.

[8]    SSRQ Bern I/II, Nr. 92f, S. 118f.

[9]    Hermann Rennefahrt nimmt an, dass es in Bern während der Amtszeit Laurenz Münzers zwischen 1310 und 1316 zur Gewohnheit wurde, die im Namen des Stadtgerichts ausgestellten Urkunden jeweils durch das persönliche Siegel des amtierenden Schultheissen besiegeln zu lassen. Folglich dürfte die Niederschrift der beiden undatierten Satzungen in die Zeit der Ernennung Ulrich von Gisensteins zum Stadtschreiber um 1312 fallen; Hermann Rennefahrt: Zum Urkundenwesen in heute bernischem Gebiet und dessen Nachbarschaft während des Mittelalters (bis um 1500). In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 44 (1958), S. 5-125, hier 58f.

[10]  Ein Mäss entsprach ungefähr 14 Litern; Anne- Marie Dubler: Masse und Gewichte im Staat Luzern und in der alten Eidgenossenschaft. Luzern 1975.

[11]  1336 sah sich der Rat schliesslich sogar dazu veranlasst, die Zuständigkeit des Stadtgerichts auf jene Angelegenheiten zu beschränken, welche die auf dem Land lebenden Bürger persönlich betrafen; FRB/6, Nr. 294, S. 287 (1. Juni 1336). 1432 begrenzte der Rat den Kreis jener Personen, die während des gesamten Jahres vor dem Stadtgericht erscheinen durften, dann noch auf jene Ausburger, die innerhalb einer Zone von drei Meilen rund um die Stadt wohnten. Alle übrigen Ausburger, die in weiterer Entfernung oder in einer der bernischen Landstädte lebten, wurden angewiesen, nur noch viermal jährlich an das Stadtgericht zu appellieren; SSRQ Bern I, Nr. 176, S. 75.

[12]  In den seit 1375 überlieferten Säckelmeisterrechnungen erscheint neben dem statschriber jeweils auch ein spezieller schultheissen schriber. Das Jahresgehalt dieses Gerichtsschreibers war deutlich geringer als jenes des Stadtschreibers; Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1375-1384, Bern 1896, hier Stadtrechnung 1375 II, S. 9 und 12 sowie Stadtrechnung 1376 I, S. 44 und 47. Zu den Aufgaben des Gerichtsschreibers vgl. auch den entsprechenden Amtseid aus dem 15. Jahrhundert in SSRQ Bern I/II, Nr. 125, S. 523f.; sowie Barbara Studer Immenhauser: Verwaltung zwischen Innovation und Tradition. Die Stadt Bern und ihr Untertanengebiet 1250-1550 (Mittelalter-Forschungen 19), Ostfildern 2006, S. 188-192.

[13]  FRB/5, Nr. 545, S. 584f. (1. Sept. 1327).

[14]  FRB/6, Nr. 790, S. 772 (23. August 1343); sowie FRB/7, Nr. 27, S. 25f. (8. April 1344) und Nr. 64, S. 57f. (28. Sept. 1344).

[15]  Die Fronfastengerichte waren spezielle Gerichtstermine, an denen die Ausburger jeweils die Möglichkeit hatten, an den vier Tagen von Mittwoch bis Sonnabend nach Invocavit (Februar/März), Pfingsten (Mai/Juni), Kreuzerhöhung (September) und Lucie (Dezember) vor dem Stadtgericht Klage zu führen.

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