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Ausbürger

Die Ausbürger lebten auf dem Land, besassen zugleich aber das Bürgerrecht der Stadt Bern, deren Gericht sie anrufen konnten.

Die zahlenmässig grösste Sondergruppe im bernischen Bürgerrecht waren die Ausbürger. Sie übertrafen die stadtsässige Bürgerschaft mit schätzungsweise 3’000 bis 4’000 Personen im 14. und 15. Jahrhundert um ein Vielfaches. Damit unterschieden sich die Bürgerrechtsverhältnisse in Bern wesentlich von den meisten anderen grösseren Städten im spätmittelalterlichen Reich.[1] Nur im flandrischen Gent scheint eine noch grössere Zahl von Ausbürgern gelebt zu haben. Die Quellen nennen im Jahr 1432 rund 5’000 so genannte buitenpoorters oder Pfahlbürger.[2] Mit schätzungsweise 45’000 Einwohnern war Gent im 15. Jahrhundert hingegen fast zehnmal grösser als Bern. Ob die 7’753 bourgeois forains der mittelgrossen flandrischen Stadt Kortrijk, die in einem Verzeichnis von 1398 aufgezählt werden, auch wirklich zur Finanzierung der vom Feuer zerstörten Stadt herangezogen wurden, erscheint hingegen fraglich.[3] Im Gebiet der Eidgenossenschaft betrieben neben Bern vor allem die Städte Zürich, Solothurn, Luzern und Freiburg eine aktive Ausbürgerpolitik.[4]

Bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts gingen Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) dazu über, Dutzende von Landbewohnern in der Umgebung Berns ins Bürgerrecht (Aufnahme ins Bürgerrecht) aufzunehmen. Dadurch sollte die Zahl der steuer- und wehrpflichtigen Personen (Bürgerpflichten) vergrössert werden. Mit der Leistung des Bürgereids (Bürgereid) wurden Ausbürger aus dem angestammten Herrschaftsverband ihrer ländlichen Herren gelöst und unter die Zuständigkeit des Stadtgerichts (Stadtrecht) gestellt. Während sich für die Ausbürger daraus die Möglichkeit ergab, sich dem rechtlichen Zugriff ihrer Herrschaftsherren zu entziehen, konnten Schultheiss und Rat ihren politischen und fiskalischen Einfluss auf die Landschaft ausdehnen.[5] Ausbürger, die ausserhalb der Stadtmauern wohnten, unterlagen grundsätzlich den gleichen Bürgerrechtsbestimmungen wie die stadtsässigen Bürger. Sie besassen im Unterschied zu diesen jedoch weder das aktive noch passive Wahlrecht. In allen übrigen Punkten wie Aufnahmebedingungen, Pflichten und Rechten waren sie den stadtsässigen Bürgern jedoch weitgehend gleichgestellt. Die Ausbürger unterlagen der kommunalen Steuerhoheit (Steuerpflicht) und mussten wie die Stadtbürger im Kriegsfall unter der Führung von Schultheiss und Vennern (Venner) mit dem städtischen Aufgebot ins Feld ziehen (Wach- und Wehrpflicht). Als Gegenleistung genossen sie Zollvergünstigungen im städtischen Herrschaftsgebiet und erhielten erleichterten Zugang zu Wochen- und Jahrmärkten (Märkte). Der wichtigste Vorteil erwuchs Ausbürgern jedoch darin, dass sie mit dem Erwerb des Bürgerrechts den Berner Rat als oberste Gerichtsinstanz anerkannten. Wie Stadtbürger genossen sie damit, sobald sie durch die Stadttore hinausschritten, den besonderen Schutz der Stadtgemeinde.

Die wachsende Zahl der Ausbürger zwang den Rat, den Zugang zum Stadtgericht einzuschränken

Mit Zunahme der Ausbürgeraufnahmen seit dem beginnenden 14. Jahrhundert wuchs auch die Zahl jener Personen, die um Rechtsbeistand vor dem städtischen Gericht nachsuchte. Der Rat beschloss deshalb, dem Stadtschreiber (Stadtschreiber und Kanzlei) einen zweiten Schreiber zur Seite zu stellen.[6] 1327 werden mit Johannes Marschalk und 1343/44 mit Rudolf von Lindach zwei spezielle «gerichtschriber ze Berne» in den Quellen genannt.[7] Dieser unterstützte den Schultheissen bei der Abhaltung der städtischen Gerichtstage. 1432 begrenzte der Rat den Zugang zum Stadtgericht dann auf jene Ausbürger, die innerhalb einer Zone von drei Meilen rund um die Stadt wohnten.[8] Alle anderen wurden angewiesen, nur noch an den vier Fronfasten, das heisst, an den vier Tagen von Mittwoch bis Sonnabend nach Invocavit (Februar/März), Pfingsten (Mai/Juni), Kreuzerhöhung (September) und Lucie (Dezember), vor das Stadtgericht zu treten.[9] Wollte ein Besitzer eines Udelhauses (Udelhausbesitzer und Udelinhaber) gegen einen Ausbürger klagen, so musste dieser dem auf dem Land wohnenden Bürger spätestens 14 Tage vor dem Gerichtstermin eine Vorladung zukommen lassen, damit dieser pünktlich an der Gerichtsverhandlung erscheinen konnte.[10]

Wegen den Ausbürgern entstehen «viele Kosten und Mühe»

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bestätigte der Rat noch einmal die Bestimmungen von 1432, dehnte den Zuständigkeitsbereich des Wochengerichts aber auf alle erwachsenen Einwohner der vier Landgerichtsbezirke aus, si siend burger oder nitt.[11] Zudem liess er den Ausbürgereid erstmals in die Satzungsbücher einschreiben. Die Eidesformel des Ausbürgereids entsprach dabei weitgehend jenem des Untertaneneids (Neubürger- und Unteraneneid).[12] In der 1479 formulierten ordnung der usburgern halb bestätigte der Rat zwar noch einmal die angestammten Freiheiten der Ausbürger wie Zollfreiheit und freie Erbleihe. Die Zuständigkeit des Stadtgerichts, dem seiner Meinung nach durch die Ausbürger bisher vil kost und mueg [Mühe] taeglich entsprungen ist, beschränkte er jedoch auf die Befugnisse eines Appellationsgerichts.[13] Für alle übrigen Streitfälle hatten sich Ausbürger in Zukunft wie alle Untertanen, die ausserhalb der vier Landgerichtsbezirke lebten, an Landvögte oder Tschachtlane (Landvögte und Tschachtlane) zu wenden.

Roland Gerber, 14.07.2018



[1]    Im Gebiet der so genannten Alten Landschaft der Stadt Nürnberg übten zu Beginn des 16. Jahrhunderts insgesamt 39 patrizische Geschlechter die Grundherrschaft über rund 3’000 bäuerliche Hintersassen aus; Michael Diefenbacher: Stadt und Adel – Das Beispiel Nürnberg, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141 (1993), S. 61.

[2]    J. Verbeemen, De buitenpoorterij in de Nederlanden, in: Bijdragen voor de geschiedenis der Neederlanden 12 (1957), S. 85.

[3]    Guy P. Marchal: Pfahlbürger, bourgeois forains, buitenpoorters, bourgeois du roi. Aspekte einer zweideutigen Rechtsstellung, in: Neubürger im späten Mittelalter, hg. von Rainer C. Schwinges (Beiheft der Zeitschrift für Historische Forschung 30), Berlin 2002, S. 333-367; sowie Emil Huys: Etudes sur la bourgeoisie foraine de Courtrai, in: Handelingen van de Kon. geschieden outheidkundige kring van Kortrijk, N.S. 17 (1938), S. 3-35.

[4]    Vgl. dazu Adolf Gasser: Entstehung und Ausbildung der Landeshoheit im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters, Aarau/Leipzig 1930; Elisabeth Raiser: Städtische Territorialpolitik im Mittelalter. Eine vergleichende Untersuchung ihrer verschiedenen Formen am Beispiel Lübecks und Zürichs (Historische Studien 406), Lübeck/Hamburg 1969; Guy P. Marchal: Sempach 1386. Von den Anfängen des Territorialstaates Luzern (Beiträge zur Frühgeschichte des Kantons Luzern), Basel/Frankfurt am Main 1986; sowie Von den Anfängen des Territorialstaates Luzern (Beiträge zur Frühgeschichte des Kantons Luzern), Basel/Frankfurt am Main 1986.

[5]    Die besondere Bedeutung der bernischen Ausbürgerpolitik während des Spätmittelalters ist in der schweizerischen Geschichtsforschung schon verschiedentlich hervorgehoben worden; Adolf Gasser: Entstehung und Ausbildung der Landeshoheit im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters, Aarau/Leipzig 1930, S. 386-391; Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern, in: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns 1191-1891, Bern 1891, S. 1-139, hier 31f.; Beat Frey: Ausbürger und Udel namentlich im Gebiete des alten Bern, Bern 1950; Peter Bierbrauer: Freiheit und Gemeinde im Berner Oberland 1300-1700 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 74), Bern 1991, S. 102-107; sowie Urs Martin Zahnd: Berns Bündnis- und Territorialpolitik in der Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 53 (1991), S. 21-59, hier 31-33.

[6]    In den Säckelmeisterrechnungen erscheint neben dem statschriber jeweils auch ein spezieller schultheissen schriber; Welti, Friedrich Emil (Hrsg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1375-1384. Bern 1896, hier Stadtrechnung 1375 II, 9 und 12 sowie Stadtrechnung 1376 I, 44 und 47. Zu den Aufgaben des Gerichtsschreibers vgl. auch den entsprechenden Amtseid aus dem 15. Jahrhundert in SSRQ Bern I/II, Nr. 125, 523f; sowie Barbara Studer Immenhauser: Verwaltung zwischen Innovation und Tradition. Die Stadt Bern und ihr Untertanengebiet 1250-1550 (Mittelalter-Forschungen 19). Ostfildern 2006, S. 188-192.

[7]    FRB/5, Nr. 545, 584f. (1. Sept. 1327); FRB/6, Nr. 790, 772 (23. August 1343); sowie FRB/7, Nr. 27, 25f. (8. April 1344) und Nr. 64, 57f. (28. Sept. 1344).

[8]    Bereits 1336 beschränkte der Rat die Zuständigkeit des Stadtgerichts bei Ausbürgern auf jene Angelegenheiten, die die Ausbürger persönlich betrafen. Vgl. dazu den Entscheid des Berner Rats, dass die mit der Stadt verburgrechteten Chorherren von Amsoldingen nur dann vor dem Stadtgericht klagen durften, wenn sie selbst als Kläger auftraten; FRB/6, Nr. 294, S. 287 (1. Juni 1336).

[9]    SSRQ Bern I/2, Nr. 176, S. 75.

[10] SSRQ Bern I/2, Nr. 94, S. 45. Bereits 1389 galt die Zeit der vier Fronfasten als üblicher Gerichtstermin für die Udelnehmer auf dem Land: Uli von Hornbach [...] sint burger und hant udel iegklicher mit 5 Pfund, wa er sich mutwillig von sinem burgrecht liessi wisen, so ist das udel haft umb die 5 Pfund, weler es aber uf gebi, der sol es ufgeben mit 3 Pfund, und sullent nuwent recht tun zu den vier fronfasten uff dem huse Hens von Arow zwischent Solger dem Kürsenner und Hens Sager; Udelbuch von 1389, Staatsarchiv Bern, B XIII 28, S. 90.

[11] SSRQ Bern I/1, Nr. 318, S. 199.

[12] SSRQ Bern I/2, Nr. 51, S. 38.

[13] SSRQ Bern V, Nr. 20i, S. 57-60 (4. Februar 1479).

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