Navigieren auf Stadt Bern

Benutzerspezifische Werkzeuge

Content navigation

Kirchgemeinde von St. Vinzenz

In Bern bestand mit der Kirchgemeinde von St. Vinzenz während des Mittelalters nur eine einzige Kirchgemeinde.

Keinen Einfluss auf die Viertels- (Stadtviertel) und Quartierbildung (Stadtquartiere) hatte in Bern die Kirche.[1] Im Unterschied zu den meisten grösseren mittelalterlichen Städten, deren Bevölkerung sich in der Regel auf mehrere Kirchgemeinden verteilte, blieb die Einwohnerschaft Berns während des gesamten Mittelalters in einer einzigen zusammengefasst.[2] Bereits zur Zeit der Stadtgründung entstand am südlichen Ausgang der Kreuzgasse eine erste Kirche (Pfarrkiche von St. Vinzenz), die dem heiligen Vinzenz geweiht war und deren Patronatsrechte die südwestlich der Stadt gelegene Augustinerprobstei in Köniz ausübte.[3] In Zusammenhang mit der von Kaiser Friedrich II. nach dem Tode des letzten Zähringer Herzogs 1218 eingeleiteten Konsolidierung der staufischen Herrschaftsrechte im Gebiet von Aarburgund übertrug der Kaiser die Propstei in Köniz 1226 an den von ihm geförderten Deutschen Orden.[4] Die betroffenen Augustinerchorherren, die der Papst im Jahre 1232 als rechtmässige Besitzer der Propstei in Köniz bestätigte, widersetzten sich daraufhin gemeinsam mit dem Bischof von Lausanne und der Mehrheit der Berner Bürger dem kaiserlichen Beschluss. Der von Friedrich II. eingesetzte Schultheiss Peter von Bubenberg und weitere Adlige unterstützten den kaiserlichen Entscheid und vertrieben die Augustinerchorherren gewaltsam aus Köniz. 1235 nahmen die Deutschherren die ihnen übertragene Propstei schliesslich in Besitz, wobei die Bürger erst bei einem Aufenthalt des Kaisersohnes Konrad von Hohenstaufen in Bern gelobten, den Gottesdienst der Deutschordenspriester nach längerer Weigerung 1238 wieder zu besuchen und die Rechte des Ordens in Zukunft zu respektieren. Der Bischof von Lausanne anerkannte die Deutschherren hingegen erst im Jahre 1243 als neue Besitzer der Propstei in Köniz. Die Stadtkirche St. Vinzenz blieb formell bis 1276 eine Filialkirche des Deutschen Ordens. Erst in jenem Jahr erhob der Bischof von Lausanne die Kirche zu einer eigenen Pfarrei. Die Patronatsrechte und damit die Wahl des bernischen Leutpriesters verblieben zwar bis zur Umgestaltung von St. Vinzenz in ein weltliches Chorherrenstift 1484 formell in den Händen des Deutschen Ordens. Dieser musste die von ihm präsentierten Leutpriester jedoch nach ihrer Wahl jeweils vom Berner Rat bestätigen lassen. Schultheiss und Rat sicherten sich auf diese Weise bereits seit dem 13. Jahrhundert eine direkte Einflussnahme auf die Besetzung der Stadtpfarrei.[5]

Niederlassung der Bettelorden am Ende des 13. Jahrhunderts

In die Zeit der Auseinandersetzungen der Bürgerschaft mit dem Deutschen Orden und dem Bischof von Lausanne um die Zuständigkeiten in der Stadtpfarrei fällt die Niederlassung der beiden Bettelorden der Franziskaner (Franziskanerkirche) und der Dominikaner (Klosterkirchen der Dominikaner und Dominikanerinnen) in Bern.[6] Beide Orden besassen päpstliche Privilegien, die es ihnen erlaubten, Predigten abzuhalten sowie einzelne Sakramente wie Taufen und Beerdigungen zu spenden. Die Ansiedlung der Bettelorden bedeutete für die Berner Pfarrkirche deshalb eine Konkurrenz, deren Rechte durch die Mönche beschnitten wurden. Als Erste liessen sich die Franziskaner oder Barfüsser in der Stadt nieder. Ihr Konvent erscheint 1255 bereits als funktionierende Ordensgemeinschaft (Erste Stadterweiterung nach 1255).[7] Die Dominikaner oder Prediger folgten 1269.[8] Beide Bettelorden riefen Schultheiss und Rat (Schultheiss und Rat) ausdrücklich zur Niederlassung in die Stadt (instanter vocati).[9] Dazu wiesen sie den Franziskanern und Dominikanern für die Errichtung ihrer Klöster ausgedehnte Flächen zu, die den städtischen Grundbesitz der von den Deutschherren verwalteten St. Vinzenzkirche von Anfang an übertrafen. Die Niederlassung der beiden Bettelorden führte deshalb ähnlich wie in anderen Städten bereits kurze Zeit nach ihrer Ansiedlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den neuen Orden und den Deutschherren einerseits, sowie zwischen den Franziskanern und Dominikanern andererseits. Zu einem ersten, jedoch nur vorläufigen Ausgleich kam es im Jahre 1257, als die Deutschherren der Niederlassung der Franziskaner in ihrem Pfarrbezirk unter der Bedingung zustimmten, dass ihrer Seelsorge durch die Ansiedlung der Bettelmönche keinen Abbruch geschehe. Der Rat nahm die Deutschordenskomturei in Köniz als Gegenleistung ins städtische Burgrecht auf, wobei die Deutschherren das kurz zuvor erbaute Deutschordenshaus am südlichen Rand des St. Vinzenz Kirchhofes (heutige Münsterplattform) ungehindert beziehen konnten.[10] Der latente Streit zwischen den Bettelorden und den Deutschherren um das Spenden der Sakramente erreichte 1293 und 1297 weitere Höhepunkte, als sowohl der Papst als auch der Bischof von Lausanne die jeweiligen Kontrahenten exkommunizierten.

Begräbnisrecht wird zum Streitpunkt

Seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war es dann vor allem das den Bettelorden zustehende Begräbnisrecht, das die Deutschherren wegen der mit dieser Tätigkeit verbundenen Einkünfte immer wieder bekämpften. Auch in diesem Streit kam es schliesslich zu einem gerichtlichen Ausgleich. Die Bettelorden 1355 wurden verpflichtet, dem Leutpriester eine jährliche Entschädigung von 3 Pfund für die Bestattungen zu entrichten.[11] Langfristig setzten sich Franziskaner und Dominikaner auf diese Weise weitgehend gegen die Ansprüche des Deutschen Ordens durch, die seit ihrer Niederlassung in Bern auf eine breite Unterstützung der Bürger zählen konnten.[12] Ihre wachsende Beliebtheit zeigt sich auch darin, dass die Bettelmönche mit Stiftungen reicher Bürger bedacht wurden, die sich in den Klosterkirchen und in den an die Gotteshäuser grenzenden Friedhöfen bestatten liessen. Obwohl Bern bis 1785 formell nur aus einer einzigen Pfarrgemeinde bestand, mussten die Deutschherren die ihnen zustehende Stadtpfarrei seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert mit den Bettelorden teilen. Es kann deshalb bereits im Spätmittelalter von einer gewissen Unterteilung der Kirchgemeinde von St. Vinzenz in einzelne «Seelsorgebezirke» gesprochen werden.

Roland Gerber, 10.02.2018



[1]    Zur Entwicklung der kirchlichen Institutionen Berns während des Mittelalters vgl. Hans Morgenthaler: Bilder aus der älteren Geschichte der Stadt Bern, Bern 1935 (2. Auflage), S. 88-129; sowie allgemeinen Gerhard Pfeiffer: Das Verhältnis von politischer und kirchlicher Gemeinde in den deutschen Reichsstädten, in: Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, hg. von Walther Peter Fuchs, Stuttgart 1966, S. 79-100; Jürgen Sydow: Stadt und Kirche im Mittelalter. Ein Versuch, in: Württembergisch Franken 58 (1974), S. 35-57. Für die Schweiz vgl. Ludwig Schmugge: Stadt und Kirche im Spätmittelalter am Beispiel der Schweiz. Ein Überblick, in: Variorum Munera Florum. Latinität als prägende Kraft mittelalterlicher Kultur, Festschrift für Hans F. Haefele, hg. von Adolf Reinle u.a., Sigmaringen 1985, S. 273-299.

[2]    Georg Liebe: Die kommunale Bedeutung der Kirchspiele in den deutschen Städten. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte deutschen Mittelalters, Berlin 1885.

[3]    Hans Morgenthaler: Bilder aus der älteren Geschichte der Stadt Bern, Bern 1935 (2. Auflage), S. 88-91; sowie Heinrich Türler: Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart, Bern 1896, S. 33f.

[4]    Richard Feller: Geschichte Berns, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1516, Bern 1946, S. 30-33; sowie Eduard von Rodt: Bern im 13. und 14. Jahrhundert, nebst einem Rückblick auf die Vorgeschichte der Stadt, Bern 1907, S. 120-141.

[5]    Urs Martin Zahnd: Bern im Spätmittelalter. Das städtische Umfeld des Münsters, in: «Machs na». Materialien zum Berner Münster, Bd. 2, Bern 1993, S. 203-220, hier 214.

[6]    Vgl. dazu Norbert Hecker: Bettelorden und Bürgertum. Konflikt und Kooperation in deutschen Städten des Spätmittelalters, Frankfurt am Main 1981.

[7]    Hans Morgenthaler: Bilder aus der älteren Geschichte der Stadt Bern, Bern 1935 (2. Auflage), S. 106-109; sowie Heinrich Türler: Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart, Bern 1896, S. 34f.

[8]    Ebda., S. 110-116; sowie ebda., S. 35.

[9]    Heinrich Türler: Das Franziskanerkloster, in: Die hohen Schulen zu Bern in ihrer geschichtlichen Entwicklung von 1528 bis 1834, hg. von Fr. Haag, Bern 1903, S. 1-18.

[10]  Das domus Theutonicorum in Berno wird 1256 erstmals urkundlich erwähnt; FRB/2, Nr. 392, S. 411 (8. Januar 1256); sowie Kdm Bern IV, S. 428.

[11]  Heinrich Türler: Das Franziskanerkloster, in: Die hohen Schulen zu Bern in ihrer geschichtlichen Entwicklung von 1528 bis 1834, hg. von Fr. Haag, Bern 1903, S. 4.

[12]  Auch der Berner Rat schien das von den Bettelmönchen beanspruchte Begräbnisrecht anerkannt zu haben. Konrad Justinger berichtet fürs Jahr 1324, dass der in der Kreuzgasse enthauptete Edelmann Walter Senn, ze den predigern uswendig an dem kore zwüschent dem kore und der sacrastye begraben worden sei; Gottlieb Studer (Hg.): Die Berner Chronik des Conrad Justinger, Bern 1871, S. 57f.

Weitere Informationen.

Fusszeile