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Rede Alec von Graffenried anlässlich der Mitgliederversammlung «Bern NEU gründen»

23. Mai 2017

Rede Stadtpräsident Alec von Graffenried anlässlich der Mitgliederversammlung «Bern NEU gründen» Dienstag, 23. Mai 2017, Tramdepot Burgernziel, Thunstrasse 106, Bern©

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich bedanke mich für die Einladung zu diesem Podium von «Bern NEU gründen» anlässlich der Mitgliederversammlung. In der Einladung zur heutigen Veranstaltung wurde der Auftritt von Frau Zuber und mir angekündigt mit den Worten: «Man darf gespannt sein, denn Alec von Graffenried hat sich im Wahlkampf klar hinter die Vision des Vereins «Bern NEU gründen» gestellt.»

An dieser Stelle könnte ich mein Kurzreferat bereits beenden. Klar, ich stehe nach wie vor hinter der Vision des Vereins «Bern NEU gründen». Tiefe Überzeugungen wirft man nicht einfach so über Bord! Ideen für eine stärkere regionale Zusammenarbeit beschäftigen mich seit fast 30 Jahren. Unter dem Titel «zämebärn» habe ich bereits in den 90er Jahren mitgeholfen, eine ähnliche Vision zu lancieren.

Zudem habe ich in den ersten paar Monaten im Amt als Stadtpräsident viele neue Erfahrungen und Eindrücke gesammelt. Insofern möchte ich doch gerne ein wenig konkreter werden.

Die Vision von «Bern NEU gründen» ist es, die politischen Grenzen der Stadt den realen Verhältnissen in der Kernagglomeration Bern anzupassen. Dazu sollen ein Bewusstsein für eine gemeinsame Identität geschaffen werden sowie innovative Modelle der Zusammenarbeit für entwickelt, diskutiert und umsetzt werden.

Wie gesagt: Ich unterstütze die Vision, dass die politischen Grenzen eines Tages den realen Verhältnissen angepasst sind, nach wie vor. Es bringt auch nichts, um den heissen Brei herum zu reden. Das meine ich, wenn ich davon rede, dass wir auch das F-Wort wieder in den Mund nehmen müssen. Die Vision heisst, dass wir uns institutionell verbinden müssen. Anders als über Fusionen ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Wir können die Regionalkonferenz nicht zu einer Stadtregion weiterentwickeln, wir wollen nämlich klar keine neue institutionelle Ebene. Wir wollen aber auch über das Niveau von unverbindlichen Gesprächen im Bocciaclub hinauskommen. Und wir müssen eine neue Form der Zusammenarbeit demokratisch abstützen und auch Bevölkerung und Parlamente einbinden.

Aufgrund erster Gespräche und Begegnungen innerhalb des Stadtregion-Perimeters habe ich wie erwartet die Erfahrung gemacht, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen dieser «realen Verhältnisse» gibt. Oder anders ausgedrückt: Von der Konsequenz der Vision von «Bern NEU gründen» sind leider längst nicht alle Akteurinnen und Akteure in der Kernagglomeration Bern überzeugt. Es gibt noch viel zu tun.

Trotzdem wird das Bern 2030 ein anderes sein als das Bern 2017. Bis dahin bleiben noch 13 Jahre. Ich bin mir bewusst, dass man bis dahin das Rad nicht neu erfinden kann. Aber – und darauf will ich hinaus – es können gewisse Grundlagen erarbeitet und Meinungsbildungsprozesse in Gang gesetzt werden. 2030 ist so weit weg, dass niemand Angst haben muss.

Hier setze ich konkret an; ich will einerseits die formelle und informelle Zusammenarbeit unter den Gemeinden der Kernagglomeration Bern fördern und so das gegenseitige Vertrauen weiter stärken. Gewisse Zusammenarbeitsformen finden schon jetzt statt, allerdings nur punktuell. Ich bin der Meinung, dass ein regelmässiger Austausch unter den Gemeinden dazu führen kann, dass immer mehr gemeinsame Anliegen erkannt und gemeinsame Lösungen gefunden werden, und somit die Zusammenarbeit enger wird. Solche Zusammenarbeit ist immer gut. Eine Fusion wäre aber besser. Leider stimmt die Redensart auch hier: Das Gute ist der Feind des Besseren! Wie könnte eine Lösung aussehen? Das eine tun und das andere nicht lassen. Optimalerweise ergibt es sich bei engerer Zusammenarbeit wie von selber, dass über innovative Modelle der Zukunft diskutiert wird, wenn die gemeinsamen Projekte so zahlreich und intensiv sind.

Andererseits will ich am Angebot der Stadt arbeiten. Ich bin der Meinung, dass gewisse Voraussetzungen der Stadt Bern die Diskussion über innovative Modelle der Zusammenarbeit behindern, da damit immer auch die Furcht vor Autonomie- und Identitätsverlusten einhergeht. Die Ängste bestehen zu Recht. Andererseits: Die Realität, sei es in den Bereichen Wirtschaft, Ausbildung, Einkaufen, Kultur, Freizeit oder Mobilität, hält sich schon lange nicht mehr an die historischen Grenzen.

Eine Idee ist, dass in Anlehnung an deutsche Grossstädte wie Frankfurt oder Berlin die Autonomie der heutigen Quartiere der Stadt Bern gestärkt würde. Man könnte in der Stadt Bern eine zweistufige Verwaltungsgliederung einführen: Während die oberste Ebene, inklusiv der direkt gewählten Behördenvertretungen – der heutige Gemeinderat und Stadtrat –, gesamtstädtische Aufgaben wahrnimmt, sind die Quartiere oder Stadtbezirke zuständig für die lokalen Angelegenheiten – mit eigener Legislative (beispielsweise Quartierversammlungen) und Exekutive (beispielsweise Quartierräte). Der Grad der Autonomie ist noch zu definieren. Die Quartiere werden zu Wahlkreisen. Das würde auch ein Problem lösen, dass die Stadt Bern heute hat: Die Repräsentation ist im Stadtberner Parlament unbefriedigend, Bümpliz-Bethlehem ist deutlich untervertreten. Ähnliche Probleme gibt es übrigens auch in einigen Nachbargemeinden. Wichtig ist, dass alle bei Fragen, welche die Stadtregion betreffen, mitbestimmen können. Hier liegt heute ein grosses Demokratiedefizit: Berns Nachbargemeinden können weder mitbestimmen, wo eine Schwimmhalle in Bern gebaut wird (ein regionales Sportzentrum), noch ob der Verkehr auf dem Bahnhofplatz (das regionale Verkehrszentrum) reduziert werden soll – geschweige denn, ob die Grosse Halle der Reitschule aufgefrischt werden darf (das regionale Jugendzentrum). Maximale Mitbestimmung in der Stadtregion, aber maximale Wahrung der Autonomie in der Gemeinde bezeihungsweise im Quartier: Unter solchen Vorzeichen können sich gewisse Agglomerationsgemeinden dereinst vielleicht gut vorstellen, ein Quartier oder Bezirk der Stadt Bern zu werden. Und die Berner Quartiere erfahren eine weitere Aufwertung, das ist ihr Gewinn.

Ein weiteres Argument kommt dazu: unsere «Aussenpolitik», das heisst die Zusammenarbeit unter den Gemeinden, erfolgt heute weitgehend auf exekutiver Ebene. Die Parlamente sind nicht einbezogen. Auch hier gibt es ein Demokratiedefizit, dass wir mit meiner Idee korrigieren können.

Das ist jetzt natürlich erst ein Gedankenspiel und die Idee noch überhaupt nicht ausgereift. Aber worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, die Fragestellung so zu modifizieren, dass eine Fusion im Grossraum Bern auch für die umliegenden Gemeinden attraktiv wird – die eben erläuterte Idee ist nur eine davon. In nächster Zeit sollen gute Grundlagen erarbeitet und eine fundierte Diskussion lanciert werden. Ich sehe die Stadtregion Bern im Jahr 2030 wie folgt:

1. Innovative Modelle der Projektzusammenarbeit in der Stadtregion sind angedacht und umgesetzt     und eine Annäherung auf allen Ebenen hat stattgefunden. Es gibt ein gemeinsames Bewusstsein für die Möglichkeiten und Grenzen der Region, eine konkretisierte gemeinsame Vision für die Stadtregion Bern.

2. Die Stadt Bern hat ihre Hausaufgaben gemacht und ihre Mitwirkungsgefässe gestärkt, sodass die Quartiere aufgewertet und deren Mitbestimmung optimiert und demokratisch gestärkt worden ist. Diese Entwicklung führt dazu, dass sich die angrenzenden Gemeinden als eigenständige Quartiere an die Stadt Bern anschliessen, um
   - von den Angeboten des Zentrums zu profitieren,
   - ihrer Bevölkerung die Mitbestimmung in ihrem Lebensraum zu ermöglichen und
   - die Stadtregion als Ganzes gegen Innen und Aussen zu stärken.

3. Dies geschieht, ohne dass die Identität geschwächt wird, weil sich alle Menschen als Ostermundiger, Bolliger oder Könizer fühlen können und gleichzeitig starker Teil der Stadtregion Bern und damit stolze Hauptstädterinnen und Hauptstädter sein können.

In dieser Hinsicht muss man keine Angst haben. Die Bottiger haben sich ihre Identität bewahrt, obwohl sie Teil der Stadt Bern sind. Die Lorraine war immer speziell: sei es früher zu den Zeiten der Lorrainegiele, oder heute mit der Tour de Lorraine. Seit 1848 sind wir Schweizerinnen und Schweizer geworden, aber natürlich sind wir seither trotzdem immer Bernerinnen und Berner geblieben. Das gleiche gilt auch für die Zukunft der Stadtregion.

Fazit: Nach wie vor teile ich die Folgerungen der Studie über die Stadtregion von «Bern neu Gründen». Eine Stadtregion mit einer engeren Gemeindezusammenarbeit hat ein grosses Potential. Ich weigere mich, diese Idee bereits heute zu verwerfen. Im Gegenteil lade ich alle interessierten Kreise dazu ein, an dieser Idee weiterzuarbeiten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Rede Stadtpräsident Alec von Graffenried anlässlich der Mitgliederversammlung «Bern NEU gründen» Dienstag, 23. Mai 2017, Tramdepot Burgernziel, Thunstrasse 106, Bern©
Titel
Mitgliederversammlung «Bern NEU gründen», Rede Stadtpräsident Alec von Graffenried, 23.05.2017 (PDF, 130.6 KB)

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