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Referat anlässlich der Nationalen Tagung «Sorge tragen: Betreuung als Wirtschaftsfaktor – Zeit für politische Lösungen»

30. Oktober 2025

Referat von Gemeinderätin Ursina Anderegg, Direktorin für Bildung, Soziales und Sport, anlässlich der Nationalen Tagung «Sorge tragen: Betreuung als Wirtschaftsfaktor – Zeit für politische Lösungen», 30. Oktober 2025

(Es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Engagierte, liebe Anwesende

Am Tag der Betreuenden Angehörigen begrüsse ich Sie herzlich zu dieser spannenden Tagung hier bei uns in der Stadt Bern.

Ich freue mich sehr, hier ein Grusswort an euch richten zu dürfen. Denn ich habe schon länger beruflich und politisch sowie nun in meinem neuen Amt als Gemeinderätin von Bern viele Berührungspunkte mit dem heutigen Thema:

Ich war lange in der institutionellen Gleichstellungsarbeit tätig. Und hier spielt natürlich die ungleiche Verteilung der unbezahlten und bezahlten Care-Arbeit nach Geschlecht sowie deren mangelnde gesellschaftliche und wirtschaftliche Anerkennung eine zentrale Rolle.

Und nun stehe ich einer Direktion vor, welche unter anderem für die familien- und schul-externe Kinderbetreuung zuständig ist, für die Stärkung von solidarischen Strukturen in den Quartieren, für alterspolitische Massnahmen, für die Förderung von Inklusion von Menschen mit Behinderungen oder für die Bekämpfung von Armut. Unter anderem überall hier spielt die Frage des Betreuens und Betreutwerdens in unterschiedlichster Art eine Rolle.

Blicken wir auf die Grosswetterlage in der Schweiz, dann zeigen sich zwei Tendenzen:

Die Thematik der Care-Arbeit hat durchaus in den letzten Jahren eine breitere Öffentlichkeit und ein Problembewusstsein erreicht.

Ich habe zum Beispiel sehr gestaunt, als mir die Google-KI gestern den «hohen Wert der Care-Arbeit» erklärt hat, weil es zum Beispiel eben so sei, dass der unbezahlten Care-Arbeit in der Schweiz 2020 einen geschätzten Geldwert von 434,2 Milliarden zugekommen sei, was über 1 Million Vollzeitstellen entspreche. Die hauptsächlich von Frauen geleistete Care-Arbeit sei von enormer wirtschaftlicher Bedeutung, auch wenn der unbezahlte Teil oft unsichtbar bleibe. Ohne diese Leistungen, die die Gesellschaft zusammenhalte, wäre das Funktionieren von Wirtschaft und Gemeinwesen nicht möglich.

Ich würde mal die steile These aufstellen, dass bei einer ähnlichen Anfrage vor ein paar Jahrzehnten die Antwort eher etwas mit fürsorglichen Ehefrauen und Müttern beinhaltet hätte, welche glücklich seien, dass sie ihrer Berufung nachgehen können. Wir kommen voran, würde ich sagen.

ABER – und das muss ich hier drinnen ja niemandem erklären: Es gibt noch sehr viel zu tun. Die tatsächliche gerechte Verteilung der unbezahlten Care-Arbeit kommt nicht wirklich vom Fleck. Viele Menschen mit Betreuungspflichten kommen in unseren Strukturen an den Anschlag und die bezahlte Sorgearbeit findet oft unter prekären Bedingungen statt.

Wir sind also alle gefordert, in unseren jeweiligen Kontexten, Lösungen zu suchen, um dem entgegenzuwirken.

Die Stadt Bern engagiert sich hier seit längerem über verschiedene Hebel:

  • Wir legen zum Beispiel einen grossen Fokus auf ein solidarisches Zusammenleben in den Quartieren.
  • Unsere soziokulturellen Angebote arbeiten mit dem Ansatz von Caring Communities, zum Beispiel wird das Angebot der Nachbarschaftshilfe rege genutzt. Hier werden Tandems zusammengeführt – bei welchem eine Person eine andere im Alltag unterstützt.
  • Wir investieren viel in qualitativ hochwertige Tagesbetreuungsstrukturen, mit dem Ziel, dass die familienexterne Betreuung nicht eine Frage von ökonomischen Privilegien sein soll, und das bei guten Arbeitsbedingungen für das Personal. Oder wir haben für das städtische Personal mit Betreuungspflichten Reglementarien, welche über die arbeitsrechtlichen Vorschriften hinaus gehen.

Und wir wollen immer prägnanten Lücken auf kantonaler und nationaler Ebene mit Innovationen begegnen und vorangehen.

So will ich gerne auf eine sehr neue Entwicklung auf Bundesebene eingehen, die in Bern sehr gefreut hat. Viele von euch habt sicher schon davon gehört, einige waren vermutlich auch daran beteiligt:

Im Juni dieses Jahres ist nach Jahren intensiver politischer Arbeit im eidgenössischen Parlament ein Durchbruch bei der Finanzierung von Betreuungsleistungen für Menschen im Alter und mit Behinderungen gelungen. Eine politische Lösung im Bereich Betreuung, für die es höchste Zeit war.

Das Parlament hat die Revision des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV beschlossen. Die Revision schliesst eine Lücke in der Betreuung von Menschen im Alter und mit Behinderungen. Personen, die Ergänzungsleistungen beziehen, können dank dieser Änderung künftig Pauschalen in Höhe von 11'160 Franken pro Jahr für Betreuungsleistungen und Hilfe zu Hause erhalten. Für die Anschaffung eines Notrufsystems, für Hilfe im Haushalt, für Mahlzeitenangebote oder Begleit- und Fahrdienste. Alles Massnahmen, die nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern auch für das betreuende Umfeld eine Entlastung bringen.

Die Bundeslösung orientiert sich an den Betreuungsgutsprachen der Stadt Bern. Die Stadt Bern hat das Modell in einem Pilotprojekt 2019 bis 2022 entwickelt und getestet und 2023 als Regelangebot eingeführt. Ich will damit nicht nur bluffen – das schon auch – ich will damit vor allem auch sagen, dass wir an allen strukturellen Schrauben drehen sollen, zu denen wir Zugang haben. Auch wenn es sich oft als «Pfläschterli»-Politik anfühlt.

Politische Lösungsansätze können mehr Akzeptanz finden und gelingen, wenn der Politik die Machbarkeit und Wirkung nicht nur in Studien, sondern mit konkreten Praxisprojekten aufgezeigt werden. Hierbei können Städte und Gemeinde eine wichtige Rolle übernehmen, um Bund und Kantonen praxiserprobte Lösungsansätze aufzuzeigen. Die Betreuungsgutsprachen der Stadt Bern sind nur ein Beispiel von vielen schweizweit.

Der 30. Oktober hat sich als Tag der Betreuenden Angehörigen etabliert. An diesem Tag danken wir den Menschen, die sich täglich mit grossem Engagement und enormen Leistungen für die Betreuung ihrer Angehörigen einsetzen.

Doch Anerkennung zeigt sich nicht nur in Worten – oder durch 1x Klatschen – sondern muss sich in Strukturen niederschlagen.

Lassen wir Taten folgen. Denn nur eine Gesellschaft, die Sorgearbeit anerkennt, unter den Geschlechtern gerecht verteilt und finanziert, ist eine tragfähige Gesellschaft.

Ich wünsche uns allen heute viele neue Erkenntnisse sowie spannenden Gespräche und Diskussionen und ich bedanke mich herzlich bei den Organisator*innen dieser spannenden Tagung.

Weitere Informationen.

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