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Verhältnisse auf dem Land

Im 15. Jahrhundert bewirkte die Abwanderung in die Städte auch auf dem Land einen deutlichen Bevölkerungsrückgang.

Auswirkungen auf die rückläufige Migration zwischen Stadt und Land hatten auch die Veränderungen der Sozial- und Wirtschaftsstruktur in der Landschaft.[1] Seuchenzüge, Hunger, Missernten, Kriegszüge sowie die verstärkte Abwanderung in die Städte nach dem Auftreten des Schwarzen Todes 1349 (Schwarzer Tod 1349) liessen die Einwohnerzahlen auf dem Land seit dem Ende des 14. Jahrhunderts ebenfalls zurückgehen . Das seit dem 11. Jahrhundert anhaltende Bevölkerungswachstum ging wie in der Stadt zu Ende und wurde im 15. Jahrhundert durch einen allgemeinen Bevölkerungsrückgang abgelöst (Rückgang und Stagnation im 15. Jahrhundert). Überall in Europa kam es zu Wüstungen und zum Rückgang der jährlichen Ernteerträge.[2] Vor allem in den klösterlichen Grundherrschaften häuften sich seit der Mitte des 14. Jahrhunderts Klagen, dass immer mehr Bauerngüter aufgegeben wurden, Ackerflächen unbebaut blieben und bis anhin kultivierte Landstriche insbesondere in abgelegenen Tälern oder in höher gelegenen Gebieten verwaisten.[3] Weltliche wie geistliche Grund- und Gerichtsherren sahen sich in der Folge mit immer grösseren finanziellen Problemen konfrontiert, da sie ihre Besitzungen nicht mehr durch ausreichend zinspflichtige Bauern kultivieren lassen konnten.[4]

Feuerstättenzählungen

Auch die Bern benachbarten Landgebiete erlebten während des 15. Jahrhunderts einen Rückgang ihrer Einwohnerzahlen.[5] Anhand der vier aus dem 15. und 16. Jahrhundert überlieferten Feuerstättenzählungen lässt sich zeigen, dass allein die Bevölkerung in den Gebieten westlich der Stadt zwischen Sense und Aare in den Jahren 1416 bis 1453 um rund 20 Prozent und bis 1499 um weitere zehn Prozent abnahm. Erst in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wuchsen die Einwohnerzahlen wieder an und übertrafen schliesslich um die Mitte des Jahrhunderts jene des beginnenden 15. Jahrhunderts.[6] Die Bevölkerungsverluste auf dem Land entsprachen weitgehend jenen in der Stadt Bern, deren Einwohnerschaft zwischen 1389 und 1458 ebenfalls um rund 25 Prozent zurückging und erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts wieder allmählich anzuwachsen begann.

Rückgang der Land-Stadt-Wanderung

Aber nicht nur die rückläufigen Einwohnerzahlen, sondern auch die rechtliche Zusammenfassung der Stadt- und Landbevölkerung in einem einheitlichen städtischen Untertanenverband hatte zur Folge, dass die Zuwanderung vom Land in die Stadt im Verlauf des 15. Jahrhunderts kontinuierlich zurückging (Konsolidierung des städtischen Herrschaftsgebietes im 15. Jahrhundert). Immer weniger Landbewohner sahen sich dazu veranlasst, den Schutz der Stadtmauern aufzusuchen und das bernische Bürgerrecht (Aufnahme ins Bürgerrecht) zu erwerben. Stadt- wie Landbewohner unterlagen weitgehend den gleichen Rechten und Verpflichtungen gegenüber der Stadt, die sich mit dem Abschluss des Twingherrenvertrags (Twingherren) im Jahr 1471 die Steuer- und Wehrhoheit im gesamten Territorium zusichern liess. Gleichzeitig erhielt der Rat das verbriefte Recht, die Bevölkerung in Stadt und Land zu Fuhr- und Frondiensten beim Bau kommunaler Gebäulichkeiten wie Stadtmauern und Brücken aufzufordern.[7] Die Landbewohner unterstanden ausnahmslos der kommunalen Gerichtsbarkeit. Diese schützte sie unabhängig ihres Rechtsstatus als Ausbürger, Einwohner oder Hintersassen (Sondergruppen im Bürgerrecht) vor dem Zugriff auswärtiger Gerichts- und Grundherren. Die Bewohner der vier die Stadt umgebenden Landgerichte waren zudem dazu berechtigt, sich ohne Zollabgaben in Bern aufzuhalten, wo sie ihre Produkte auf dem städtischen Markt verkaufen konnten. Ferner brauchten sich die Landbewohner nicht mehr wie im 13. und 14. Jahrhundert vor militärischen Übergriffen adliger Herrschaftsträger zu fürchten. Deren Burgen waren entweder zerstört oder befanden sich im Besitz bernischer Bürger und Amtsträger (Landvögte und Tschachtlane).

Roland Gerber, 13.11.2017



[1]    Vgl. dazu Karl-Heinz Spiess: Zur Landflucht im Mittelalter, in: Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, hg. von Hans Patze (Vorträge und Forschungen 27), Sigmaringen 1983, S. 157-204.

[2]    Wilhelm Abel: Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 1), Stuttgart 1976, S. 45f.

[3]    Deutlich zeigt sich diese Entwicklung in kirchlichen Grund- und Lehenszinsregistern, die von Otto Sigg für die Landgebiete rund um die Stadt Zürich zwischen 1389 und 1444 systematisch untersucht worden sind; Otto Sigg: Spätmittelalterliche „Agrarkrise”. Aspekte der Zürcher Geschichte im Spannungsfeld von Sempacher Krieg und Altem Zürichkrieg, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 31 (1981), S. 121-143. Zur Landflucht der Bauern in spätmittelalterlichen Klosterherrschaften vgl. auch Gero Kirchner: Probleme der spätmittelalterlichen Klostergrundherrschaft in Bayern. Landflucht und bäuerliches Erbrecht, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 19 (1956), S. 2-94.

[4]    Vgl. dazu Peter Blickle: Agrarkrise und Leibeigenschaft im spätmittelalterlichen deutschen Südwesten, in: Agrarisches Nebengewerbe und Formen der Reagrarisierung im Spätmittelalter und 19./20. Jahrhundert, hg. von Hermann Kellenbenz (Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 21), Stuttgart 1975, S. 39-54.

[5]    Zu den Stadt-Land-Beziehungen Berns während des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit vgl. Maja Silva (Hg.): Stadt und Land. Die Geschichte einer gegenseitigen Abhängigkeit (Kulturhistorische Vorlesungen an der Universität Bern), Bern 1988.

[6]    Die Feuerstättenzählungen von 1416 und 1453 liessen die Bischöfe von Lausanne für das Gebiet ihrer Diözese durchführen. Erst die beiden folgenden Zählungen von 1499 und 1558 entstanden im Auftrag des Berner Rates, der sich einen Überblick über die Wehrkraft der im städtischen Territorium ansässigen Bevölkerung verschaffen wollte. Zu den Problemen eines direkten Vergleichs der Feuerstättenzählungen von 1416, 1453, 1499 und 1558 vgl. auch Hektor Ammann: Die Bevölkerung der Westschweiz im ausgehenden Mittelalter, in: Festschrift für Friedrich Emil Welti, hg. von Hektor Ammann, Aarau 1937, S. 390-418.

[7]    SSRQ Bern IV/1, Nr. 172c, S. 490-494 (7. Februar 1471, korrigiert nach Anne-Marie Dubler: 6. Februar 1471). Zu den rechtlichen Bestimmungen des Twingherrenvertrags vgl. auch Peter Liver: Rechtsgeschichtliche Betrachtung zum Berner Twingherrenstreit 1469-1471, in: Festschrift für Hans von Greyerz, Bern 1967, S. 235-256.

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