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Stadtquartiere

Die vier Stadtquartiere markierten den Rahmen, in dem sich der Alltag der Stadtbevölkerung in Form vielfältiger sozialer Bindungen und Interaktionen abspielte.

Die neben Haushalt und Gasse (Haushaltsgrösse und Familie) wichtigsten räumlichen Bezugspunkte des sozialen Lebens in der spätmittelalterlichen Stadt Bern waren die Stadtquartiere.[1] Diese waren eng begrenzte Raumeinheiten, deren Bewohner sich sowohl in ihrer Sozialstruktur als auch in ihren Zugriffsmöglichkeiten auf die ökonomischen Ressourcen, politischen Ämter (Ratsämter und Behörden) und religiös-karitativen Institutionen der Stadtgemeinde voneinander unterschieden. In Bern existierten während des Spätmittelalters insgesamt vier Stadtquartiere.[2] Alle lassen sich im heutigen Stadtbild noch deutlich erkennen und widerspiegeln die Ausdehnung der Stadt nach Westen und Südosten, die durch den Bau der drei mittelalterlichen Mauerringe und den Einbezug der Gewerbesiedlungen an der Aare ins ummauerte Stadtgebiet akzentuiert wird (Bevölkerungs- und Stadtentwicklung). Im Unterschied zu den Stadtvierteln (Stadtviertel), die künstlich festgelegte Wahl- und Verwaltungsbezirke umschrieben, bildeten die Quartiere historisch gewachsene Wohn- und Lebensgemeinschaften, die durch topografische Gegebenheiten wie Gräben, Mauern, Tore und Plätze räumlich voneinander getrennt waren. Die Quartiere waren weder im politischen noch im verfassungsrechtlichen Sinn eigenständig und wurden von den Stadtvierteln durchschnitten. Die Stadtquartiere überlagerten die ältere Viertelseinteilung, sodass sich die Einwohner eines Quartiers während des Mittelalters immer auf mehrere Stadtviertel verteilten. Eine quartierweise Vertretung der Stadtbevölkerung in den kommunalen Ratsgremien, wie sie sich in anderen mittelalterlichen Städten etablierte, war in Bern damit nicht möglich.[3]

Nachbarschaftsverbände

Die Sozialstruktur der Stadtquartiere gründete auf einzelnen nachbarschaftlich orientierten Sozialverbänden, die durch ihre gemeinsame Wohn- und Arbeitslage spezifischen topografischen Gegebenheiten und Abhängigkeiten unterlagen. Diese markierten den äusseren Bezugsrahmen, in dem sich der Alltag der Stadteinwohner in Form vielfältiger sozialer Bindungen und Interaktionen abspielte. Die Grundlage dieser Sozialverbände waren die städtischen Haushalte und deren Bewohner, die gassenweise in Form so genannter Bauernschaften oder gebursami zusammengefasst waren. Die nachbarschaftliche Ausrichtung der Bauernschaften zeigt sich in den zwischen 1430 und 1452 überlieferten Säckelmeisterrechnungen (Säckelmeister), nach denen der gebursami an der kilchgassen eine jährliche Entschädigung für Schmuck und Verzierungen ausbezahlt wurde. Die Bewohner der Münstergasse pflegten diese jeweils an hohen christlichen Feiertagen an ihren Wohnhäusern anzubringen.[4] Steuerumgänge und militärischen Aufgebote (Bürgerpflichten) sowie die Organisation der Ratswahlen (Wahlprozedere an Ostern) beruhten während des Mittelalters auf den sozialen Grundeinheiten der Haushalte und ihrer Vorsteher. Die Venner (Venner) liessen die Namen der Stadtbewohner jeweils entsprechend der topografischen Lage ihrer Wohnhäuser entlang den Gassen nach Stadtvierteln geordnet aufzeichnen (Tellbücher).

Kirchlich und gewerblich geprägte Quartiere

Innerhalb der Stadtquartiere zeigten sich Schultheiss und Rat im 14. und 15. Jahrhundert darum bemüht, die wichtigsten kommunalen, gewerblichen und religiös-karitativen Gebäude an bestimmten Gassen und Strassenabschnitten zu konzentrieren. Während sich die meisten kommunalen und gewerblichen Bauten wie Rathaus (Rathaus) Kauf- und Zollhaus (Kauf- und Zollhaus), Zunfthäuser (Zunft- und Gesellschaftshäuser), Schultheissensitz (Hochgerichtssitz des Schultheissen) und die Gewerbehäuser der Handwerker (Fleisch- und Brotschalen, Gewerbehäuser der Gerber) hauptsächlich um die zentralen Strassenmärkte und die Kreuzgasse gruppierten (Zähringerstadt), befanden sich alle bedeutenden geistlichen Institutionen wie die Pfarrkirche St. Vinzenz (Pfarrkirche St. Vinzenz), das Dominikaner- und Inselkloster (Klosterkirchen der Dominikaner und Dominikanerinnen), Franziskanerkloster (Franziskanerkirche), die Antonierkirche (Antonierspital), die Nydeggkapelle (Nydeggkapelle) und die im 13. und 14. Jahrhundert gestifteten Spitäler am Rand des ummauerten Stadtgebiets. Das Gleiche gilt für die verschiedenen Beginengemeinschaften (Beginenhäuser) und die Stadthäuser auswärtiger Klöster (Stadthäuser auswärtiger Klöster), die sich vornehmlich an Nebengassen befanden.

Roland Gerber, 10.02.2018



[1]    Vgl. dazu die grundlegende Arbeit von Robert Jütte: Das Stadtviertel als Problem und Gegenstand der frühneuzeitlichen Stadtgeschichtsforschung, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 127 (1991), S. 235-269.

[2]    Ernst Bärtschi: Die Stadt Bern im Jahr 1353. Studie zu einem Zeitbild, in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 42 (1954), S. 29-128, hier 40-48; sowie François de Capitani: Adel, Bürger und Zünfte im Bern des 15. Jahrhunderts (Schriften der Berner Burgerbibliothek 16), Bern 1982, S. 19f.

[3]    Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 131-143.

[4]    Friedrich Emil Welti (Hg.): Die Stadtrechnungen von Bern aus den Jahren 1430-1452, Bern 1904, hier 1430/I, S. 9, und 1441/I, S. 126. Aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist folgende Prozessionsroute überliefert: [...] und tet man gar ein loblich procession von dem münster durch die kilchgassen [Münstergasse] hinuf bis zu der zitglocken und die merktgassen [Kramgasse] harab bis wider zu dem münster [...]; Gustav Tobler (Hg.): Die Berner Chronik des Diebold Schilling 1468-1484, 2 Bde., Bern 1897/1901., Nr. 363, S. 189 (27. September 1478).

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